Am 26. Mai fand die Bürgerschaftswahl in Bremen statt. Am 1. Juli präsentierten SPD, Grüne und Linke den Entwurf des Koalitionsvertrages für die 20. Legislaturperiode. Wir haben uns angeschaut, was die rot-grün-rote Koalition für die nächsten fünf Jahren in den Bereichen Bildung und Digitalisierung planen. Im Folgenden möchten wir einige Passagen des Bremischen Koalitionsvertrags hervorheben und dazu Stellung beziehen:
Die Koalitionsparteien planen, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen und setzen hierbei einen besonderen Fokus auf die Bildung. Digitale Medienkompetenzen, die technische Ausstattung von Schulen und Investitionen in Software stehen hierbei im Vordergrund. Darüber hinaus sollen Schulen personell gestärkt werden und Lehrende die Chance bekommen, sich weiterzuqualifizieren.
Digitale Medienkompetenz und -mündigkeit
Wir begrüßen die intensive Auseinandersetzung mit der Thematik und unterstützen die Orientierung der Koalition an den in der KMK‐Strategie festgelegten Medienkompetenzen in der Lehre und der Lehrendenausbildung. Wie bereits von der Kultusministerkonferenz betont wurde, ist der digitale Wandel der Gesellschaft ein komplexer Prozess, der auf mehreren Ebenen in die Lehr- und Lernprozesse integriert werden sollte. SPD, Grüne und Linke haben erkannt, dass digitale Kompetenzen nicht mit technischer Ausstattung gleichgesetzt werden können. Sie fordern eine Stärkung und Weiterbildung des Lehrpersonals und eine Ausweitung der vorhandenen Technik (KoaV Z. 375-378) mit dem Ziel, “Kinder und Jugendliche zu befähigen, selbstbestimmt und kritisch hinterfragend mit den digitalen Medien umzugehen und sie zu als Arbeitsmittel zu nutzen” (KoaV Z. 726-746).
Im Sinne des lebenslangen Lernens würden wir uns jedoch auch Angebote zur Weiterbildung und Fortbildung der Bürgerinnen und Bürger wünschen. Die Bremische Bürgerschaft scheint sich hier zu stark zu beschränken. Sie versteht ihren Auftrag scheinbar allein in der Förderung der Kinder hin zu einem “guten Schulabschluss” (KoaV Z. 370). Der Erwerb von digitalen Medienkompetenzen ist jedoch für jede und jeden essentiell, um sich in der heutigen Gesellschaft als mündiger Bürgerin oder mündiger Bürger aktiv gestaltend einbringen zu können. Freie Bildungsmaterialien könnten hierbei als Mittel verwendet werden, partizipative Bildungsprozesse zu fördern und die Teilhabe aller an Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung zu erleichtern. Wir bedauern daher insbesondere, dass Open Educational Resources (OER) nicht einmal Erwähnung im Koalitionsvertrag findet.
Hinsichtlich der beruflichen Weiterbildung sieht die rot-rot-grüne Koalition neue Chancen im sogenannten “digitalen Aufbruch”. Wir freuen uns über die geplante Förderung von Onlinekursen und Onlineselbstlernformaten (KoaV Z. 813), möchten jedoch betonen, dass neben gewerblichen auch gemeinnützige und offene Angebote, wie beispielsweise MOOCs, vielfältig, anpassbarer und somit meist besser geeignet sind, die Vermittlung von Medienkompetenzen und ‐mündigkeit sicherzustellen.
Qualitätssicherung und -förderung
Ein weiteres Großthema ist die Sicherung und der Ausbau der Bildungsqualität. Es sollen speziell für die “individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen und die Qualitätsentwicklung an den Schulen Ressourcen frei werden (KoaV Z. 616-623), was wir als Bündnis sehr begrüßen. Hier möchten wir jedoch auch ansetzen und noch einmal betonen, dass die Qualität von OER wird durch vielfache Verwendung und Verbesserung sich stetig erhöht. Durch die Anpassbarkeit der Materialien können Änderungsvorschläge hinsichtlich einer besseren Eignung direkt umgesetzt werden. Mit OER eröffnen sich neue, nachhaltige und innovative Möglichkeiten des Lernens und Lehrens, besonders in Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen des digitalen Wandels.
Die Lernenden und Lehrenden sollten zudem am Aushandlungsprozess von Qualität von Bildungsmaterialien teilhaben. Es braucht hierfür mehr Unterstützung für Aufklärungs-, Sensibilisierungs- und Qualifizierungsmaßnahmen von Lehrenden aller Bildungsinstitutionen. Der grundsätzliche Bedarf von Unterstützungs‐ und Fortbildungssystemen wurde von der Koalition erkannt (KoaV Z. 616-623) und sollte unserer Meinung nach damit gedeckt werden, dass Lehrende in die Lage versetzt werden, freie Bildungsmaterialien zu verwenden, zu erstellen und weiterzuentwickeln.
Technische Ausstattung und Open-Source‐Software
Die Koalition spricht von einer zentral gesteuerten Anschaffung von notwendiger Software (KoaV Z. 469-474) und priorisiert den Einsatz von Open-Source‐Software in der öffentlichen Verwaltung (KoaV Z. 5708-5717). Wir möchten hierbei betonen, dass vor allem auch im Bereich der öffentlichen Bildung darauf zu achten ist, dass Abhängigkeiten von bestimmten Softwareunternehmen zu vermeiden sind und keine zusätzlichen Hürden für den Zugang aufgestellt werden sollten. Kritisch sehen wir daher die geplante Ausweitung der kommerziellen Lernplattform “itslearning”. Open-Source-Softwarelösungen sollten stets bevorzugt berücksichtigt werden, da diese das Lernen und Lehren nicht beschränken, Freiraum geben und den Transfer von Inhalten zwischen verschiedenen Systemen sicherstellen. Zudem vertreten wir die Auffassung, dass digitale Kompetenzen nicht auf Plattformen, sondern im oder mit dem freien Netz erlernt werden sollten.
Ausblick und Forderungen
Der Koalitionsvertrag schafft unserer Ansicht nach einen guten Startpunkt für die Förderung von digitaler Mündigkeit und spiegelt viele Aspekte von zeitgemäßer Bildung. Es wird deutlich, dass die Bremische Bürgerschaft erkannt hat, dass technische Ausstattung nicht alleine dazu führt, dass Menschen den kompetenten Umgang mit Technologie und dem freien Netz erlernen.
Wir rufen die rot-rot-grüne Koalition jedoch dazu auf, die Vorteile von freien Bildungsmaterialien, -praktiken und Open-Source-Software anzuerkennen und davon zu profitieren. Bildung sollte frei von kommerziellen Abhängigkeiten und für alle frei zugänglich, nutz- und veränderbar sein. Wir sind stets für Gespräche offen und freuen uns über Möglichkeiten der Zusammenarbeit hinsichtlich der Ausgestaltung der genannten Bildungsvorhaben.
Anbei die erwähnten und zitierten Ausschnitte aus dem Koalitionsvertrag:
370: Unser Auftrag: Jedes Kind nach seinen Fähigkeiten zu einem guten Schulabschluss führen
375-378: Wir werden die Schulen in ihrer personellen, digitalen, räumlichen und sonstigen Ausstattung stärken, damit sie den neuen Aufgaben gewachsen sind. Dabei werden wir unseren Fokus besonders darauf richten, dass jedes Kind unabhängig von seiner sozialen Herkunft zu einem guten Schulabschluss geführt wird.
431: Ausstattung von Schulen: Ungleiches muss ungleich behandelt werden
469-474: Für die Koalition bleibt der Erhalt der Lehrmittelfreiheit zentral. In Zeiten der Digitalisierung ist daher ein schulischer Zugang zu PCs und anderen digitalen Endgeräten sicherzustellen ebenso wie eine zentral gesteuerte Anschaffung von notwendiger Software und der Unterrichtsqualität dienlichen Anwendungen.
588: Auf dem Weg zu mehr Bildungsqualität
616-623: Zur Eigenverantwortlichkeit gehören gleichermaßen einheitliche Standards, Unterstützungs‐ und Fortbildungssysteme, bedarfsgerechte Evaluationen und Maßnahmen zur Qualitätssicherung an jeder Schule. Im Zusammenhang mit dem derzeit im Aufbau befindlichen Institut für Qualitätsentwicklung wird die bisherige Arbeitsteilung zwischen senatorischer Behörde, Landesinstitut, Schulaufsicht und Schulleitungen mit dem Ziel neu strukturiert, bestehende Konzepte für eine test‐ bzw. datengestützte Unterrichtsentwicklung, für die individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen, für die Qualitätsentwicklung an den Schulen sowie für das Bildungsmonitoring zusammenzuführen, mit Ressourcen auszustatten und weiterzuentwickeln.
608-615: Von Schulen wird davon ausgehend erwartet, dass sie ihre Qualität vor Ort sichern innerhalb des Rahmens verbindlicher und für alle geltender Bildungsstandards. Dabei sollen Schulen ihre eigenen Leitbilder und Schulprogrammen und besonderen Profile entwickeln und mit einem attraktiven Angebot die Schullandschaft bereichern. Um dies eigenständig umsetzen zu können, sollen sie zukünftig ihre Sachmittel weitgehend selbst bewirtschaften können. Ziel ist, dass sie im Rahmen eines deutlich erweiterten Sachmittelbudgets eigene Schwerpunkte setzen und ihre Verwendung nach außen verantworten. Die Schulen sollen zukünftig alle konsumtiven Ausgaben selbst steuern können.
616-623: Zur Eigenverantwortlichkeit gehören gleichermaßen einheitliche Standards, Unterstützungs‐ und Fortbildungssysteme, bedarfsgerechte Evaluationen und Maßnahmen zur Qualitätssicherung an jeder Schule. Im Zusammenhang mit dem derzeit im Aufbau befindlichen Institut für Qualitätsentwicklung wird die bisherige Arbeitsteilung zwischen senatorischer Behörde, Landesinstitut, Schulaufsicht und Schulleitungen mit dem Ziel neu strukturiert, bestehende Konzepte für eine test‐ bzw. datengestützte Unterrichtsentwicklung, für die individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen, für die Qualitätsentwicklung an den Schulen sowie für das Bildungsmonitoring zusammenzuführen, mit Ressourcen auszustatten und weiterzuentwickeln.
725: Digitalisierung
726-746: Bildung in und für die digitale Welt muss daher Kinder und Jugendliche befähigen selbstbestimmt und kritisch hinterfragend mit den digitalen Medien umzugehen und sie zu als Arbeitsmittel zu nutzen. Unser Ziel ist die Bildung hin zu einer digitalen Mündigkeit. Dazu werden die in der KMK‐Strategie festgelegten Medienkompetenz zügig in den Lehrplänen umgesetzt.
Das über „itslearning“ an einem Modellstandort erprobte dynamische Curriculum wird auf weitere Schulen übertragen. Dies umfasst auch einen Zugriff von Lehrkräften auf begleitendes Unterrichtsmaterial. Ergänzend werden mehr und teilweise für alle Lehrkräfte verbindliche Fortbildungsmaßnahmen angeboten. Die Kompetenzerwartungen der KMK‐Strategie werden verbindlich in der ersten und zweiten Phase der Lehramtsausbildung für alle angehenden Lehrkräfte vermittelt. Die im Medienentwicklungsplan der Stadtgemeinde Bremen dargelegte Ausstattungsstrategie soll Grundlage für den weiteren Ausbau von WLAN an allen Schulen und Ausstattung von allem Klassen‐ und Fachräumen mit zeitgemäßen Präsentationsmedien sowie mit einer angemessenen Zahl mobiler Endgeräte sein. Dabei ist beginnend mit dem kommenden Doppelhaushalt auch die Beschaffung, der Support und die Wartung der Geräte durch eine Aufstockung des entsprechenden Personals schrittweise sicherzustellen. Dabei ist zu prüfen, ob eine Realisierung der Wartung über Dataport günstiger und effektiver gewährleistet werden kann. Möglichkeiten zur Entlastung und Unterstützung der Lehrkräfte mit digitalen Medien werden wir identifizieren und konsequent nutzen. Dabei werden wir insbesondere Medienbrüche, d.h. der Übertrag von Informationen auf Papier in digitale Daten und umgekehrt, minimiert.
747: Berufliche Bildung
753-755: Die rasante Entwicklung der Digitalisierung der Arbeitswelt erfordert schnelle Investition in die digitale Ausstattung der beruflichen Schulen und entsprechende Lehrerfortbildungsmaßnahmen.
803: Weiterbildung
814: Digitalisierung der Arbeits‐ und Lebenswelt muss ebenfalls stärker aufgegriffen und im Sinne der Vermittlung von Medienkompetenzen und ‐mündigkeit gesichert werden. Die Träger der Weiterbildung müssen sich in beiden Städten gemeinsam auf den Weg machen, die Möglichkeiten digitaler Medien in der konkreten Bildungsarbeit stärker zu nutzen. Der Markt gewerblicher Anbieter von Onlinekursen und Onlineselbstlernformaten ist schier grenzenlos. Die öffentlich geförderte Weiterbildung nutzt diese Möglichkeiten bislang eher zurückhaltend. Hierin liegen neue Chancen auch neue Zielgruppen für die Weiterbildung zu gewinnen. Ein solcher digitaler Aufbruch der Weiterbildung sollte durch die öffentliche Hand unterstützt und gefördert werden.
2689: Die ganze Familie bei der Förderung in den Blick nehmen
2697-2701: Auch Bildungs‐ und Beschäftigungsträger müssen sich weiterentwickeln, um ihren jeweiligen Teilnehmer*innen Chancen und Perspektiven in einem sich stark verändernden Arbeitsmarkt zu eröffnen. Wir wollen sie darin unterstützen, Angebote zu erweitern, neue Inhalte und Kooperationen zu erproben. Dafür ist eine entsprechende Infrastruktur abzusichern und eine Zielorientierung abzustimmen.
5644: Digitalisierung
5708-5717: Open Source‐Software ist in sich vollständig transparent und ermöglicht so ein höheres Niveau an Datenschutz und IT‐Sicherheit. Freie Software reduziert die Abhängigkeit der öffentlichen Verwaltung von einzelnen Softwareanbietern. Wir wollen einen vordringlichen Einsatz von Freier und Open Source‐Software in der bremischen Verwaltung, um so die Sicherheit der Bürgerdaten und die Souveränität der Verwaltung zu stärken.
Beitragsbild: Bremische Bürgerschaft, Bremische Buergerschaft 2018, CC BY-SA 3.0