Am 21. Februar 2018 erklärte Dominik Theis, Koordinator des Bündnis Freie Bildung, auf dem Digital Social Summit, wo die Bundesregierung in ihrem aktuellen bildungspolitischen Vorhaben zu kurz denkt.
Bereits im Jahr 2015 beleuchtete eine Arbeitsgruppe mit Vertretungen der Länder und des Bundes die positiven Wirkungsmöglichkeiten von OER, wie zum Beispiel individuelle Lernsettings oder eine aktivere Gestaltung des Unterrichts hinsichtlich der gemeinsamen Erstellung von Materialien. Das BMBF erkannte, dass mit der fortschreitenden Digitalisierung im Bildungsbereich die Bedeutung digitaler Lehr- und Lernmaterialien zunahm und verabschiedete in diesem Zuge zwei Förderrichtlinien zu freien Bildungsmaterialien. Nach einer ausführlichen Analyse zum Ist-Zustand und den Möglichkeiten im Bereich OER (siehe hierzu: Mapping-OER: Bildungsmaterialien gemeinsam gestalten, Machbarkeitsstudie zur technischen Infrastruktur von OER) wurden Empfehlungen entwickelt und eine flächendeckende Förderung vereinbart. Für einen Zeitraum von etwa 18 Monaten wurden die OER-Infostelle und weitere Projekte zu OER sowie bundesweite OER-Camps gefördert.
Zeitgleich entwickelte die Kultusministerkonferenz eine Strategie zur “Bildung in der digitalen Welt”, in der ersichtlich wurde, dass der digitale Wandel der Gesellschaft in die Lehr- und Lernprozesse im Bildungssystem zu integrieren, ein äußerst komplexer Prozess ist. So müssten in mehreren Handlungsfeldern gleichzeitig Maßnahmen geplant, aufeinander abgestimmt und umgesetzt werden.
Nun scheint die Bundesregierung trotz dieser vielen sinnvollen Schritte hin zu einer zugänglichen, partizipativen und demokratischen Bildung einen anderen Kurs einzuschlagen und Freie Bildung hintanzustellen. Noch im vergangenen Jahr versprach die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag (Z. 1723-1727) eine umfassende Strategie für freie Bildungsmaterialien, doch zeugt aktuelle Vorhaben von einem Bruch der Initiativen zur Förderung der Bildungsgerechtigkeit mittels freien Bildungsmaterialien.
Die Begriffe „open“ und „Digitalisierung“ fallen auf dem politischen Parkett zwar immer häufiger, doch wird nach wie vor Digitalisierung in der Bildung zu kurz gedacht und lediglich als technische Infrastruktur begriffen. Das zeigt auch das aktuelle Vorhaben zum Digitalpakt Schule:
Bund und Länder einigten sich auf einen Kompromiss beim Digitalpakt für die Schulen und somit auf eine Finanzierung von Ausstattung mit WLAN, elektronischen Tafeln und Lernprogrammen. Das Bündnis Freie Bildung unterstützt die Aussage des BMBF, dass digitale Kompetenz von entscheidender Bedeutung für jeden und jede Einzelne ist. Dennoch darf das Vorhaben nicht zu technikzentriert gefasst werden.
Bisherige Bemühungen hinsichtlich einer Öffnung von Bildung werden hierbei schlicht ignoriert. An der Aussage des BMBF zu den Digitalen Kompetenzen wird klar, dass man sich mit der Komplexität der Thematik nicht tiefergehend beschäftigt. Der Ausbau der Infrastruktur ist ein notwendiges Unterfangen für das Gelingen von Bildung in einer digitalen offenen Gesellschaft, doch braucht es mehr Weitsicht. Eine Ausstattung der Schulen mit Smartboards und WLAN ohne entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen kann und sollte digitalen Kompetenzen nicht gleichgesetzt werden.
Unklar bleibt bisher, wie Kontinuität gewährleistet werden kann, sobald die Gelder aufgebraucht sind und wie Lehrkräfte langfristig aus- und weitergebildet werden können. Es braucht Anreize und Zeit für Lehrende, mit neuen Technologien souverän umzugehen. Für Projekte, die die konkrete Erstellung, Verbreitung und Weiterbildung zu OER fördern, scheint kein Geld da zu sein. Und für die nachhaltige Qualifizierung und Professionalisierung von Lehrenden und Lernenden zur Nutzung von OER ebenfalls nicht.
Die 2016 initiierten Projekte liefen bereits Ende letzten Jahres weitestgehend aus; nur OERInfo, Jointly und die OERCamps werden weiterhin gefördert. Damit werden nicht nur die guten Ergebnisse der OER-Projekte der letzten Jahre im Sande verlaufen und das Know-how versickern, sondern auch die Potentiale des digitalen Kompetenzerwerbs mit OER nicht genutzt. Im September 2018 hakte nun die FDP-Fraktion konkreter in einer weiteren Kleinen Anfrage nach: Würde im “Digitalpakt Schule” auch die Nutzung, die Erstellung und Weiterverbreitung von OER gefördert werden? Das Bundesministerium für Bildung und Forschung antwortete: “Infolge der Etablierung digitaler Infrastrukturen erwartet die Bundesregierung, dass die Nachfrage für die Nutzung von OER und die Bereitschaft zur Erstellung und Weiterverbreitung von OER ansteigen.” Eine fehlende Beratung und die daraus folgenden Investitionen in geschlossene und proprietäre Systeme erschweren oder verhindern sogar den Einsatz von freien Bildungsmaterialien und stellen Abhängigkeiten her (siehe hierzu unsere Stellungnahme).
Es ist zu kurz gedacht, dass mit einer digitalen Infrastruktur automatisch die Motivation zur Erstellung und Verwendung von OER steigt. Dazu sind neben spezifischen Anreizkonzepten auch neue didaktische Konzepte, direkte Investitionen in die Erstellung von Materialien und gesonderte Maßnahmen bei der Ausgestaltung der Infrastruktur nötig (z. B. offene Standards verwenden). OER benötigen eine entsprechende, förderliche IT-Infrastruktur und den Kulturwandel hin zu einer pädagogischen Berufspraxis des Teilens und der Teilhabe. Wir fordern, dass die Bundesregierung und die Länder den Wissensschatz erweitern, den Lehrerinnen und Lehrer selbst zur Verfügung stellen wollen, Best Practices fördern und Material zentral verfügbar und sichtbar machen!
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Beitragsbild: Photo by Helloquence on Unsplash
Eigentlich schade, dass freien Bildungsmaterialien in diesem Konstrukt untergehen. Denken wir jedoch an 3D-Brillen, digitalen Tafeln & Co gibt es immer mehr Standards die auch (hoffentlich) die Nutzung freier Inhalte vorantreibt. Es bleibt in jedem Fall spannend. Ein wesentlicher Schritt zur Digitalisierung an Schulen ist getan. Nachjustierungen werden notwendig sein.
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