FAQ: Auswirkung der geplanten Urheberrechtsreform auf die Bildung

Zeitgemäße Bildung und Digitalisierung werden vermehrt zusammen gedacht und so spielt auch die geplante Urheberrechtsrichtlinie eine nicht zu vernachlässigende Rolle im Bildungssektor. John Weitzmann, Syndikus und Leiter des Teams Politik & Recht bei Wikimedia Deutschland e. V., erklärt, welche Zusammenhänge und Gefahren er in der Umsetzung der Reform sieht.

John Weitzmann, Picture by René Zieger for Wikimedia Deutschland e.V., Wikimedia Conference 2017 by René Zieger – 109, CC BY-SA 4.0

Am 20. Juni wurde durch den Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments (JURI) ein Reformvorschlag vorgelegt, der das Internet für alle verändern kann. Bis September wird nun das Parlament über den Vorschlag zur Urheberrechtsreform beraten und abstimmen, der die Regeln für Online-Dienste EU-weit vereinheitlichen und Rechteinhaber gegenüber großen Plattformen stärken soll.

Der bisherige Entwurf enthält jedoch Instrumente der Rechtsdurchsetzung, die die Meinungsvielfalt und Informationsfreiheit im Internet massiv einschränken könnten und auch den Bildungssektor betreffen würden. Verlage erhielten mit dieser Reform zum Beispiel die Legitimation, die Einhaltung des Urheberrechts in Schulen direkt zu kontrollieren und das Teilen von selbsterstellten Bildungsmaterialien zu beschränken. Mehr dazu in einem Interview zwischen OERinfo und Communia.

Darüber hinaus sieht John Weitzmann noch weitere Gefahren und erklärt, wie sich die Reform auf den Bildungssektor auswirken könnte:

Welchen (historischen) Zusammenhang gibt es zwischen Bildung und Urheberrecht?

Grundsätzlich haben sich beide unabhängig voneinander entwickelt, aber seit die Bildung institutionalisiert ist und auf Druckwerke zurückgreift, waren Rechtsfragen stets auch ein Faktor bei der Ausstattung der Bildungsinstitutionen.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung in der Bildung?

Da es bei der Bildung unter anderem um die Vermittlung von Inhalten geht und diese über alle verfügbaren Medienarten und Verbreitungswege erfolgen kann, ist es im Bildungsbetrieb stets ein Thema, welche Möglichkeiten zur jeweiligen Zeit zur Verfügung stehen. Die Umbrüche, die durch die Digitalisierung verschiedenster Prozesse und Formate entstehen, wirken sich deshalb unmittelbar auch im Bildungsbetrieb aus. Das wird bisweilen durchaus auch überbetont, weil natürlich die “analogen” Lehr- und Lernmethoden nicht automatisch untauglich werden sobald es digitale Angebote gibt. Insofern ist die Digitalisierung zweifellos eine für die Bildung wichtige Entwicklung, aber zu sagen “nur digitalisierte Bildung ist gute Bildung” wäre verfehlt.

Inwieweit beeinflusst die geplante Urheberrechtsreform den Bildungssektor (insbesondere den Bereich der offenen und digitalen Bildungsformate und Software)?

Durch die Digitalisierung ist die Reichweite des Urheberrechts enorm gewachsen. Wo früher nur ein recht klandestiner Kreis von professionell Kreativen, Verwertungsunternehmen und spezialisierten Juristinnen und Juristen mit diesem Rechtsgebiet befasst war, handelt heute jeder Mensch urheberrechtsrelevant, der eigene Inhalte ins Netz bringt oder dort mit fremden Inhalten hantiert, diese veröffentlicht, teilt, weitergibt usw. Für die Bildung wiederum sind bereits seit den 1960er Jahren eigene sogenannte Schrankenregelungen im Urheberrecht verankert, also gesetzliche Erlaubnisse, Werke für Bildungszwecke zu vervielfältigen und anderweitig zu nutzen. Diese Schranken sind allerdings recht eng definiert (viele Bedingungen müssen vorliegen, es gibt viele Ausnahmen und Rückausnahmen) und die bisherigen Versuche, sie an die aufgrund der Digitalisierung der Gesellschaft neuen Gegebenheiten anzupassen, führten eher zu noch komplexeren Formelkompromissen denn zu praktisch gut handhabbaren Regelungen. Die EU-Urheberrechtsreform macht hier einen weiteren Anlauf, der aber erneut eher zu misslingen scheint.

So oder so ist der Bildungsbetrieb aufgrund seines starken Bezugs zu Medien als Vermittlungswerkzeug darauf angewiesen, ausreichende Freiheiten beim Umgang mit Werken zu haben. Das gilt nicht nur für die Lehrmedien selbst, sondern auch für die Befassung mit historischem Material in diesen Lehrmedien. Fotografien historischer Ereignisse und Personen müssen ebenso für die Bildung nutzbar sein wie zeitgenössische Werke der Literatur und Kunst – auch wenn ihr urheberrechtlicher Schutz noch nicht abgelaufen ist.

Welchen Einfluss hat die geplante Reform auf Schulclouds und Bildungsplattformen?

Die Reform dürfte entscheidend dafür werden, ob Bildungsmethoden, die über den Klassenverband oder ähnliche räumlich-personelle Grenzen hinweg funktionieren (auch cloud-basierte Ansätze), in Zukunft gesetzlich privilegiert möglich sein werden. Wenn dem nicht so sein sollte, wird es ausschließlich auf Einzellizenzen fußende Möglichkeiten geben, moderne digitale Lehr- und Lernformate einzusetzen. Dies würde mit einiger Sicherheit die Ungleichheiten im Bildungssystem weiter vergrößern, weil sich nur diejenigen Träger bzw. Institutionen solche Angebote werden leisten können, die über ausreichende finanzielle Mittel verfügen.

Welche Auswirkungen hat die geplante Reform bzw. die Einführung von automatisierten Upload-Filtern auf die Erstellung und das Teilen von offenen Bildungsmaterialien?

Der Bildungsbetrieb ist stark von ausreichend liberalen Schrankenregelungen abhängig, um ressourcenschonend mit urheberrechtlich geschützten Werken umgehen zu können. Genau hier haben Filtersysteme ihre große Schwäche: Sie werden zwar immer besser darin, geschützte Inhalte zu erkennen, können jedoch keine juristische Bewertung des Nutzungskontexts vornehmen. In die Entwicklung solcher Fähigkeiten wird auch überhaupt nicht investiert. Der Nutzungskontext ist jedoch entscheidend für die Frage, ob eine Nutzung gemäß einer Schrankenregelung zulässig ist oder nicht. Erfolgt die Nutzung etwa im Bildungskontext, greifen die entsprechenden Erlaubnisse des Urheberrechtsgesetzes. Die Filtersysteme würden entsprechende Uploads und sonstigen Austausch jedoch trotzdem blockieren, jedenfalls sofern sich das Ganze auf allgemein zugänglichen Plattformen abspielt und keine “filterfreie Sonderzone” für Bildung im Netz geschaffen würde.

Visualisierung: Anne Lehmann, Foto: Ben Bernhard, Mapping OER Graphic Recording Lizenzierung und Rechtssicherheit 02, CC BY 4.0

Worauf muss ein LMS (learning management system) Betreiber oder der Betreiber einer Cloud / Plattform im Hinblick auf die Umsetzung der Reform achten?

Betreiber müssen im Blick behalten, ob für sie durch die Reform neue Haftungsregelungen entstehen oder nicht. Das hängt stark davon ab, welche Definition des Begriffs “Online Content Sharing Service Provider” (oder eines Äquivalents) ganz am Ende im Richtlinientext beschlossen worden sein wird. Durch die Reform wird versucht, die Haftungsregeln für die unter diese Definition fallenden Unternehmen deutlich zu verschärfen.

Wie einfach ist Innovation im Bereich digitaler Lernumgebungen, wenn alle den gleichen Filter nutzen müssen?

Es wird voraussichtlich nicht so sein, dass es ein einziges Filtersystem für alle Plattformen geben wird. Vielmehr wird es den jeweiligen Betreibern überlassen bleiben, auf ihren Systemen geeignete Software zu implementieren.

Könnten Ausnahmen für den Bildungssektor hilfreich sein (auch mit Hinsicht auf Bildungsakteure ohne öffentlichen Auftrag)?

Ja, gerade der Bildungsbetrieb ist stark auf praxistaugliche Schrankenregelungen angewiesen. Es ist dabei allerdings eher unwahrscheinlich, dass kommerzielle Anbieter ohne öffentlichen Bildungsauftrag in irgendeiner Weise eine Ausnahme erhalten werden.

Gibt es Möglichkeiten, Rechteinhaber zu stärken ohne Offene Bildung zu gefährden / zu limitieren?

Soweit es bei dieser Reform um ein (angebliches) Marktversagen geht, also darum, dass Kreative gegenüber dominanten Plattformanbietern eine zu schwache Verhandlungsposition in Sachen Vergütung haben, wäre eigentlich das Wettbewerbs- bzw. das Kartellrecht das richtige Instrument, um Abhilfe zu schaffen. Wenn man es, wie jetzt, dagegen über Veränderungen am urheberrechtlichen Haftungssystem versucht, zeitigt das starke Nebeneffekte in der gesamten digitalen Gesellschaft. Aber auch hier, also innerhalb des urheberrechtlichen Ansatzes gäbe es mildere Mittel als Vorfilterung zu erzwingen: Etwa eine nur für marktdominante Plattformen geltende Pflicht, spezielle Schnittstellen (APIs) für Rechteinhaber zur Verfügung zu stellen, über die ein direkter Datenbankzugriff auf hochgeladene Inhalte möglich wird, was die Rechtsdurchsetzung auch ohne Vorfilterung weiter erleichtern würde.

Welche Rolle spielen freie Lizenzen?

Sie spielen in der laufenden Debatte bislang kaum eine Rolle, da es den Befürwortern einer verschärften Haftung nicht um freigegebene Inhalte geht, sondern gerade um alles andere. Inwiefern freigegebene Inhalte (Open Content) von Filterung tangiert wäre, ist schwer zu sagen. Da zumindest von CC-Lizenzen auch eine maschinenlesbare Fassung existiert, bestünden technische Ansatzpunkte, um hier ein unberechtigtes Blockieren von Uploads zu vermeiden. Dies bräuchte allerdings einiges an Implementierung entsprechender Funktionen.

Was kann der oder die Einzelne tun?

Jede und jeder kann sich im Rahmen von Aktionen oder Organisationen (Verbänden, Gewerkschaften etc.) beim Thema EU-Urheberrechtsreform einbringen. Letztlich wird das Ergebnis aus einem Aushandlungsprozess vieler Interessenvertretungen entstehen.

Dein Input ist gefragt!

Wie sieht für dich ein für die Offene Bildung optimales Urheberrecht aus? Hast du noch weitere Fragen? Sende deine Anmerkung gerne an info@buendnis-freie-bildung.de oder kommentiere unter diesen Beitrag.

Lizenzhinweise:
Atelier Disko, Hamburg und Berlin, Mapping OER Sprechblasen-hintergrund, CC BY 4.0
Atelier Disko, Hamburg und Berlin, Mapping OER Themen grafik 1 2x, CC BY 4.0

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert