Europawahl 2019: Digital und offen in die neue Legislatur?

Gemeinsam mit ganz Europa geht Deutschland am Sonntag, den 26. Mai 2019 wählen. Doch viele sind sich noch unsicher, welcher Partei sie ihre Stimme geben werden. Viele politische Vereinigungen, 41 an der Zahl, buhlen um die Plätze im Europäischen Parlament. Diese Vielfalt erschwert die Auswahl sicher umso mehr.

Hinsichtlich digitaler Themen bringt der Digital-o-Mat bereits etwas mehr Klarheit, da er es ermöglicht, die eigenen Positionen mit dem Abstimmungsverhalten der Fraktionen abzugleichen. Wir möchten darüber hinaus aber auch in die Zukunft schauen und verstehen, was die Parteien uns versprechen. Für das Bündnis Freie Bildung steht Bildungsgerechtigkeit stets an erster Stelle und somit fragen wir uns:

Welche politische Vereinigung wird sich eigentlich für einen offenen Zugang zu Bildung einsetzen und inwiefern würde diese darauf hinwirken, dass Bildung in einer offenen, digitalen Gesellschaft gelingen kann?

Wir haben uns die Wahlprogramme der zehn Parteien angeschaut, die zur letzten Europawahl im Jahr 2014 die meisten Stimmen erhielten. Bei der Analyse der Programme suchten wir nach Ausschnitten, die sich mit den Positionen des Bündnisses decken. Begriffe wie Digitalisierung, Offenheit, Zugang, (digitale) Bildung und offene Lehr- und Lernmaterialien waren wesentliche Kriterien in der Evaluierung. Zudem analysierten wir, wie häufig die Begriffe in den Wahlprogrammen vorkommen und welche Haltung die Parteien zu diesen Themen äußerten.

Disclaimer: Wir möchten darauf hinweisen, dass wir bei der Aufschlüsselung nicht für Vollständigkeit garantieren können und bitten jede und jeden, sich weiterführend kritisch mit den Positionen der einzelnen politischen Vereinigungen auseinanderzusetzen. Eine Nichterwähnung der Thematiken lässt nicht direkt auf eine Verneinung oder Befürwortung schließen. Unterschiede in der Ausführlichkeit der Angaben sind auch auf Unterschiede in der Ausführlichkeit der Wahlprogramme zur Europawahl zurückzuführen und geben keine Wertung der Redaktion wider. (Mehr dazu im HFD-Check der Wahlprogramme.) Es ist jedoch zu vermuten, dass die jeweiligen Parteien “Offene Bildung” nicht als prioritär einstufen.

Offene und digitale Bildung – ein Herzensthema?

Auf Basis unseres Positionspapiers möchten wir in kurzer Form einige Ausschnitte, die Aussagen zu Bildung und Digitalisierung treffen, hervorheben und bewerten. Die Erwähnung von “Bildung im digitalen Zeitalter” zeugt davon, dass sich alle Parteien mit der Thematik auseinandersetzen. Einige Positionen und Vorhaben entsprechen auch unseren Vorstellungen einer durchdachten Politik hin zu zeitgemäßer Bildung. Insgesamt entsteht jedoch der Eindruck, dass der Zugang zu Bildung zu kurz gedacht wird und die Digitalisierung derselben als eine reine Technisierung verstanden wird. Es fehlen uns in allen Programmen konkrete Umsetzungsvorschläge für eine zeitgemäße offene Bildung und wir sehen noch sehr viel Verbesserungspotenzial.

Im Folgenden haben wir uns mit ein paar Hauptforderungen aus den Programmen auseinandergesetzt und diese bewertet. Die Reihenfolge ergibt sich aus der Stimmverteilung der letzten Wahl.

CDU/CSU: Die CDU/CSU (Wahlprogramm) plädiert für eine Digitalisierung, mit der alle Personen und Unternehmen an den sogenannten “Zukunftschancen” teilhaben können. Konkrete Maßnahmen im Bereich der digitalen Bildung werden im Programm nicht genannt.

SPD: Die Partei beschreibt Bildung als Allgemeingut und stellt lebenslanges Lernen in den Vordergrund. In ihrem Wahlprogramm finden sich weder konkrete Vorschläge zur Umsetzung, noch eine Erwähnung hinsichtlich offener Bildung.

Bündnis 90/Die Grünen: Die Grünen wollen den digitalen Wandel nutzen, um Bildungschancen zu erhöhen. Zudem stellen sie die Wichtigkeit von freier und überprüfbarer Software, offenen Schnittstellen, Interoperabilität und einer vitalen Entwickler*Innen-Community in ihrem Wahlprogramm heraus.

Die Linke: In ihrem Wahlprogramm werden die Kultur des Teilens und die staatliche Rolle in der digitalen Allmende hervorgehoben. Dazu sollen steuerfinanzierte Werke grundsätzlich allen frei zur Verfügung stehen und öffentliche Infrastrukturen nicht an Tech-Konzerne verkauft werden.

AfD: Die AfD spricht davon, dass in Schulen und Universitäten der Umgang mit digitalen Medien erlernt und diese sinnvoll genutzt werden sollen. Eine Digitalisierung des Unterrichts selbst wird von der Partei (Wahlprogramm) abgelehnt. Alternativvorschläge führt die Partei nicht an.

FDP: Im Wahlprogramm der FDP wird der offene Zugang zu Bildung im Rahmen der Digitalisierungsprozesse deutlich thematisiert. Explizit erwähnt wurde die Vermittlung europabezogener Inhalte über Bildungsplattformen und Massive Open Online Courses (MOOCs). Die Ausgestaltung dieser Inhalte soll aus Sicht der Freien Demokraten verstärkt durch Kooperationen zwischen akademischer Lehre und Wirtschaft erfolgen.

FREIE WÄHLER: Die Freien Wähler setzen sich in ihrem Wahlprogramm für die Einrichtung eines europäischen peer-reviewed Wissenschaftsjournals ein. Dieses soll öffentlich zugänglich sein, eine Empfehlung zur freien Lizenzierung geben sie aber nicht.

Die Piratenpartei: Die Piraten (Wahlprogramm) plädieren für den freien Fluss von Wissen und Informationen im Netz und betonen die Bedeutung von freien und offenen Lehr- und Lernmaterialien sowie die Übertragung von OER-Projekten in die Bildungspraxis.

Partei Mensch Umwelt Tierschutz: Die Tierschutzpartei (Wahlprogramm) strebt Chancengleichheit im Bildungsbereich an. Ihre Vorschläge zur Erreichung des Ziels sind rein technikzentriert.

 

Zeitgemäße Bildung in den Wahlprogrammen der Parteien?

CDU / CSU
SPD
Die Grünen
Die Linke
AfD
FDP
Freie Wähler
Piratenpartei
Tierschutzpartei
CDU / CSU

Digitale Gesellschaft: Unser Europa ergreift die Chancen der Digitalisierung (S. 5)

Wir wollen den Wandel hin zur digitalen Gesellschaft aktiv zum Wohle der Bürger und unserer Unternehmen gestalten. Wir wollen, dass alle an den Zukunftschancen teilhaben können. 

 

Bildung: Unser Europa schafft Zukunftschancen (S. 6)

Wegen der rasanten Zunahme von neuem Wissen wird es immer wichtiger, dass unser Europa auch das lebensbegleitende Lernen, die Weiterbildung und die berufliche Fortbildung fördert. Das europäische Bildungsangebot soll daher auch den älteren Menschen offenstehen.

SPD

Wir legen verbindlich fest, was durch die freien Kräfte des Marktes zur Ware werden darf und was nicht (S. 41)

Die Bereitstellung öffentliche Güter wie Bildung, Gesundheit, öffentlicher Personennahverkehr, Pflege, öffentliche Infrastruktur (auch digitale Infrastruktur, Wasserversorgung und Wasserentsorgung) kann nicht dem Markt überlassen werden.

 

Politische Bildung in Europa verbessern (S. 73)

Die Anforderungen an politische Bildung steigen, auch und gerade in Europa. Deshalb gilt es, die Angebote der politischen Bildung zu stärken – in den Schulen, in der außerschulischen Jugendbildung und auch in der Erwachsenenbildung. Vor allem wollen wir hier die Zivilgesellschaft stärken, damit sie europäische Debatten begleiten, kommentieren und einen wichtigen Beitrag zum Zusammenhalt in Europa leisten kann.

 

Arbeitnehmerfreundliche Gestaltung der Digitalisierung der Arbeit (S. 22)

Digitalisierung verändert unsere Arbeitswelt grundlegend. Sie ist eine enorme Chance für bessere Arbeit, wenn sie gemeinsam mit den Beschäftigten gestaltet wird. Wir wollen, dass die „Digitalisierungsdividende“ allen zu Gute kommt. Das ist für uns eine zentrale Verteilungsfrage. Es darf nicht sein, dass nur wenige profitieren, während für die Mehrheit der Druck auf dem Arbeitsmarkt steigt. Bestehende Berufsqualifikationen dürfen nicht entwertet, sondern müssen durch Weiterbildung und Qualifizierung für die Zukunft genutzt werden. [...] Gerade im Zeitalter der Digitalisierung muss lebenslanges Lernen für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu einer problemlos verfügbaren Selbstverständlichkeit des beruflichen Lebenswegs werden.

 

Für ein Europa des nachhaltigen Fortschritts und mehr Lebensqualität (S. 40)

Die Digitalisierung bietet das Potenzial, unseren Alltag angenehmer zu gestalten, Familie und Beruf besser zu vereinbaren und Arbeit selbstbestimmter zu gestalten. Körperlich schwere Arbeiten können an Roboter abgegeben werden, Krankheiten durch künstliche Intelligenz früher und zuverlässiger erkannt, individuelle Bildung ermöglicht und ganz neue Mobilitätskonzepte entwickelt werden.

Die Grünen

Mit Digitalisierung Ökonomie und Ökologie zusammenführen (S. 156-157)

Die Digitalisierung kann uns helfen, effizienter und ökologischer zu handeln, Informationen leichter zu verbreiten und mehr Transparenz herzustellen. Wir wollen den digitalen Wandel demokratisch, ökologisch, sozial und feministisch gestalten. Wir wollen die Chancen ergreifen, um Arbeit zu erleichtern, um die Vereinbarkeit von Beruf und Care-Arbeit zu verbessern genauso wie die medizinische Versorgung, Ressourcen zu sparen, Verkehrsunfälle zu vermeiden und Bildungschancen zu erhöhen sowie Innovationen zu fördern.

 

Die Digitalisierung trifft auf eine Wirtschaft, in der mit ökologischen Langzeitschäden, Investitions- und Nachfrageschwäche, zu starker Konzentration von Vermögen und zu großem Ressourcenhunger einiges im Argen liegt. Insbesondere die Plattformökonomie mit ihren Netzwerkeffekten schafft zunehmend Monopole und geschlossene Strukturen. Wir wollen Ordnung in dieses System bringen. Dafür brauchen wir mehr Investitionen, damit unsere Wirtschaft krisenfester und dynamischer wird. Unser Ziel ist eine nachhaltige Digitalökonomie. Um sie zu erreichen, setzen wir auf eine echte Netzneutralität, freie und überprüfbare Software, offene Schnittstellen, Interoperabilität und eine vitale Entwickler*Innencommunity, deren Bemühungen für ein offenes und innovationsfreundliches Internet wir beispielsweise durch die Anerkennung der Gemeinnützigkeit unterstützen. Gegenüber marktmächtigen Plattformen und Anbietern brauchen wir ein Europa, das mit einer Stimme spricht, um für den Schutz von Verbraucher*innenrechten, fairen Wettbewerb und den Erhalt öffentlicher Güter zu sorgen. Trivial- und Softwarepatente lehnen wir ab.

Die Linke

Information, Bildung und Kultur: demokratisch! (S. 53)

Unser Ziel ist eine Kultur des Teilens und den freien Zugang zu und Umgang mit Wissen und Kultur absichern – dazu gehören eine weitgehende Fair-Use-Regelung, eine Verkürzung der Schutzfristen und Schrankenregelungen für Wissenschaft und Bildung.

 

Wir wollen eine Digitalisierungsstrategie in Europa, in den Mitgliedsländern und bis hinein in jede einzelne Kommune. Wir wollen digitale Teilhabe sichern. Die öffentlichen Infrastrukturen und Dateninfrastrukturen dürfen nicht an Tech-Konzerne verkauft werden, sondern gehören in die öffentliche Hand.

AfD

Kinder sind keine Versuchskaninchen – weder analog noch digital! (S. 73)

Digitalisierung betrifft nicht nur die Zukunft von Arbeit und Produktion. Sie greift tief in Kultur, Bildung und persönliche Verhältnisse ein. Deshalb ist es wichtig, dass in Schulen und Universitäten der Umgang mit digitalen Medien erlernt wird und diese sinnvoll genutzt werden. Darüber hinaus sind digitale Medien in den Schulen und Universitäten unverzichtbare Hilfsmittel für die schnelle Informationsbeschaffung und -aufbereitung, für die Anschaulichkeit von Sachverhalten und für die Präsentation. Abzulehnen sind alle Bestrebungen, den Unterricht selbst zu digitalisieren, die Erarbeitung von Wissen aus dem analogen Lernprozess herauszulösen, um die Lehrerpersönlichkeit durch das Medium zu ersetzen. Die von der EU vorgestellten Konzepte zur Förderung der Digitalisierung dürfen nicht in die Bildungssouveränität der Mitgliedsstaaten eingreifen – auch nicht über finanzielle Förderungen

FDP

Europäische Bildung muss die Chancen digitaler Bildung nutzen (S. 13)

Wir Freie Demokraten wollen, dass niemand in der digitalen Entwicklung abgehängt wird. Deshalb unterstützen wir die Einrichtung von digitalen Bildungsplattformen, zu der alle Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrem formellen Bildungsgrad, Zugang bekommen sollen. Die Digitalisierung ist eine historische Chance, Wissen und Bildung weit über Klassenräume und Lehrsäle hinaus zugänglich zu machen. Nach dem Vorbild der „Open University“ sollten digitale Bildungsplattformen in allen Sprachen der Europäischen Union ihre Bildungsinhalte in Form von „Massive Open Online Courses“ (MOOCs) über das Netz zur Verfügung stellen. Ziel der europäischen Förderung von Bildungsplattformen muss insbesondere sein, ihren Nutzern europabezogene Inhalte zu vermitteln. Festzulegen, welche Inhalte dies sind, ist aber nicht Aufgabe der Politik und staatlicher Bürokratie. Vielmehr sollen diese durch Kooperation von akademischer Lehre und Wirtschaft festgelegt und generiert werden.

 

Ein standardisiertes Bewertungs- und Zertifizierungssystem soll die Anerkennung dieser Bildung durch Arbeitgeber ermöglichen. Des Weiteren sollen qualifizierte, online erarbeitete Kurse auf einen universitären Bildungsabschluss anrechenbar sein. Wir setzen uns, insbesondere auch für die Weiterbildung, für eine europäische Online-Akademie ein. Hier sollen Europäerinnen und Europäer jeden Alters kostenlos die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten online erwerben können, um sich fit für die digitale Arbeitswelt zu machen und Kommunikation und Teilhabe bis ins hohe Alter zu ermöglichen.

Freie Wähler

EU-Jugendstrategie engagiert fortsetzen (S. 31)

Wir FREIE WÄHLER wollen die europäische Jugendpolitik stärken und den Dialog zwischen der europäischen Jugend und der Europapolitik verbessern. Hierüber wollen wir mehr Chancengleichheit für junge Menschen im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt schaffen und die junge Generation ermutigen, sich ehrenamtlich in die Gesellschaft einzubringen.

 

Freies Europäisches Wissenschaftsjournal (S. 33)

Wir FREIE WÄHLER wollen die Einrichtung eines europäischen Peer-Reviewed Wissenschaftsjournals. Es soll wissenschaftliche Beiträge überprüfen und solche von hoher Qualität veröffentlichen. Um einen Publikationsbias zu vermeiden, sollen unter Beachtung der Qualitätskriterien auch Forschungsergebnisse veröffentlicht werden, bei denen ein gesuchter Effekt nicht nachgewiesen werden konnte. Die Ergebnisse sollen über das Internet frei zugänglich sein, um die Verbindung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu fördern. Immerhin werden die meisten Forschungsergebnisse durch die Öffentlichkeit mithilfe von Steuergeld finanziert.

Piratenpartei

Freies Wissen (S. 18)

Der freie Fluss von Wissen und Information ist für uns PIRATEN essentiell und muss gerade im Bildungsbereich gefördert und gewährleistet werden. Der technische Fortschritt schafft neue Möglichkeiten, Wissen und Lernkonzepte international auszutauschen und gemeinsam weiterzuentwickeln. Um diese Möglichkeiten verstärkt zu nutzen, unterstützen wir freie und offene Lehr- und Lernmaterialien (OER). Wir setzen uns für die Entwicklung und den Einsatz solcher Materialien ein. Nationale und internationale OER-Projekte sind ein konkreter Weg, diese Vision in die Bildungsrealität zu übertragen.

 

Tierschutzpartei

Gesundheits- und Sozialpolitik (S. 44)

Emotionale Intelligenz bildet eine der wichtigsten Grundlagen in der Sozialkompetenz, dem Miteinander, dem Verstehen und Akzeptieren, in der Gesellschaft. Folglich ist ein freier Zugang zu Bildung, unabhängig von Herkunft und finanziellem Background eine Basis für das Funktionieren einer Gemeinschaft. Bildung hat frei von Beeinflussung wie Religion und Politik zu sein.

 

Digitalpolitik (S. 56)

Um im Bildungsbereich die Chancengleichheit in Europa zu gewähren, sollen alle Schulen und Hochschulen umgehend mit schnellen und leistungsfähigen Breitbandanschlüssen sowie moderner Technologie ausgestattet werden. An Schulen soll verstärkt mit Notebooks und Tablets gearbeitet werden. Die Schüler und Schülerinnen müssen für das spätere Berufsleben auf die neuen Technologien vorbereitet werden.

 

 

Titelbild: Diliff, European Parliament Strasbourg Hemicycle – Diliff, CC BY-SA 3.0

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