Wahlprüfsteine des Bündnis Freie Bildung zu OER: Antworten beim genauen Hinschauen erneut ernüchternd

Das Bündnis Freie Bildung, der Digitale Gesellschaft e.V., Freifunk, die Free Software Foundation Europe, die Open Knowledge Foundation und Wikimedia Deutschland haben sich wieder zur Koalition Freies Wissen zusammengefunden, um anlässlich der bevorstehenden Wahl des Bundestages am 24. September einige Parteien zu befragen.

Dazu haben wir uns im Sommer 2017 an alle Parteien gewandt, die zur Bundestagswahl antreten und die in allen Umfragen seit letztem Jahr durchgängig die 5%-Schwelle überschritten haben.Die Parteien konnten dabei Stellung nehmen zu aktuellen Themen aus den Bereichen Freie Software, Offene Daten, Freies Wissen, Digitale Bildung und Grundrechten, sowie Zugang zum Digitalen Raum. Geantwortet haben Bündnis 90/Die Grünen, CDU, die Linke, FDP und SPD. Lediglich von der AfD haben wir keine Antwort bekommen.

Wahlprüfstein 1:

Sollten Bildungsmaterialien, deren Erstellung aus öffentlichen Mitteln (ko-)finanziert wurden, nach den Grundsätzen der Open Definition generell als Open Educational Resources (OER) der Allgemeinheit frei zugänglich gemacht werden?
Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen planen Sie dafür? Bitte beziehen Sie in Ihrer Antwort Stellung zu Materialien, die von Lehrkräften an Schulen und Hochschulen im Rahmen ihrer Tätigkeit erstellt werden.

Wahlprüfstein 2:

Wie kann der Bund die Länder dabei unterstützen, Lehrkräfte in den Bildungsbereichen Schule und Hochschule für die Arbeit mit OER zu qualifizieren? Welche Maßnahmen wollen Sie dazu konkret umsetzen?

Fazit der Antworten auf die beiden Wahlprüfsteine zum Thema OER:

Sitzungssaal des Deutschen Bundestags

Erfreulich ist zunächst, dass sämtliche Parteien auf unsere erste Frage positiv reagieren und den Eindruck erwecken, sich gerade im Kontext von öffentlich (ko-)finanzierten Bildungsmaterialien zu zwingenden offenen Lizenzmodellen zu bekennen. An den Antworten zur 2. Frage wird jedoch leider deutlich, dass hier wenig echter Wille oder Kompetenz vorhanden zu sein scheint. Obwohl es bei Open Educational Resources (OER) zunächst um eine juristische Frage geht, die unabhängig vom verwendeten Medium geführt werden könnte, wird das Thema sofort dem Bereich digitale Bildung und Medienpädagogik zugeordnet. Dabei hätten bereits vor 50 Jahren offen lizenzierte Schulbücher und Arbeitsblätter einen enormen sozialen Mehrwert für die Gesellschaft dargestellt.

Natürlich ist uns vom Bündnis Freie Bildung bewusst, dass OER sich durch die in Deutschland immer noch zu langsam voranschreitende Digitalisierung besonders kostengünstig und leicht im Kontext digitaler Bildungsmaterialien verbreiten und realisieren lassen. Daher finden wir es auch verständlich, dass die Parteien diese Themengebiete sofort miteinander vermischen. Die Praxis zeigt jedoch, dass fehlendes Wissen über geltendes Urheberrecht bei den Lehrenden und Unkenntnis bei Autorinnen und Autoren digitaler Bildungsinhalte über Einschränkungen der Verwertungsrechte für ihre Werke in Anstellungsverträgen eine enorme Rechtsunsicherheit fördert, die den Einsatz und die Verbreitung von OER hemmt. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beauftragte und von Wikimedia Deutschland durchgeführte Projekt „Mapping OER“ verweist bereits ausführlich auf das Problem der Rechtsunsicherheit. Keine der befragten Parteien hat hier wirklich konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Situation vorgeschlagen.

Sitz des Deutschen Bundestags

Am konkretesten muten noch die Antworten von SPD und CDU an, was durch die Rolle als Koalitionsparteien der derzeitigen Bundesregierung auch nicht verwunderlich ist. Stolz wird darauf verwiesen, dass im BMBF bereits Fördermittel zum Thema OER bereitgestellt wurden. Jedoch sprechen wir hier explizit zwei Warnungen aus: Zum einen zeigt die Tatsache, dass inhaltlich kaum auf Mapping-OER eingegangen wird, dass eine echte Auseinandersetzung mit den vorliegenden Ergebnissen und Handlungsempfehlungen wohl nicht geführt wurde. Zum anderen ist der aktuelle Koalitionsvertrag im konsequenten Bekennen zu OER recht vage und entspricht eher einem Armutszeugnis. Dort steht:

“Schulbücher und Lehrmaterialien auch an Hochschulen sollen, soweit möglich, frei zugänglich sein, die Verwendung freier Lizenzen und Formate ausgebaut werden.” (S. 30)

Den inhaltlich kompetentesten und konsequentesten Eindruck bei diesem Thema machen wie bei vergangen Landtagswahlen die Linke und die Grünen.

Abschließend verweist das Bündnis Freie Bildung hier noch einmal explizit auf unsere 10 Handlungsempfehlungen an die Politik, die wir bei der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin (2016) zum ersten Mal herausgegeben haben. In der Erwartung, dass unsere Handlungsempfehlungen im nächsten Koalitionsvertrag berücksichtigt werden, fügen wir diese erneut an. Immerhin scheint ja – unabhängig von der fachlichen Kompetenz zur Umsetzung – bei allen befragten Parteien, die die Wahlprüfsteine beantwortet haben, der Wille vorhanden zu sein, öffentlich (ko)finanzierte Bildungsmaterialien offen zu lizenzieren. Das könnte zumindest eine Grundlage für einen konkreteren Koalitionsvertrag sein, der sich dann wie folgt lesen könnte:

“Schulbücher und Lehrmaterialien – auch an Hochschulen – sollen frei zugänglich sein, die Verwendung offener Lizenzen und Formate muss obligatorisch werden”.

Die ausführlichen Antworten der Parteien auf diese und weitere Fragen der Koalition Freies Wissen gibt es hier.

Lizenzhinweis:
Bilder: BriYYZ from Toronto, Canada, View of the Plenary Chamber of the Bundestag from the Dome of the Reichstag. (4209149129), CC BY-SA 2.0, fotogoocom, BERLIN Reichstagsgebäude – panoramio, CC BY 3.0

„Digitale Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2017“ von René Pickhardt für das Bündnis Freie Bildung steht unter der CC-BY-4.0-Lizenz. Für die Nachnutzung reicht als Namensnennung „Bündnis Freie Bildung“. Sofern die Nutzung offline erfolgt, ist an den Hinweis die URL der Lizenz anzufügen: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.

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