Postdigitale Bildung — Was braucht es für eine nachhaltige und zukunftsfähige Bildungsfinanzierung? Die kurze Antwort ist: Es braucht einen Paradigmenwechsel. Wie kann dieser aussehen und wie kommen wir dahin?
In der zugehOERt!-Podcastfolge “Educa$ion?! Postdigitale Bildung – Was braucht sie und was kostet sie?” spricht Sarah-Isabella Behrens (Wikimedia Deutschland e. V., Bündnis Freie Bildung) mit Gabi Fahrenkrog (TIB Hannover, twillo), Katharina Riebe (HSB Hochschule Bremen) und Matthias Kostrzewa (Ruhr-Universität Bochum, digiLL), Expert*innen aus der Bildungsforschung und der Open-Education-Community darüber, wie postdigitale Bildung gestaltet, ein gerechter Zugang geschaffen werden und wie eine zukunftsfähige Bildungsfinanzierung aussehen kann.
Dahingehend möchten wir vier übergeordnete Impulse aus der Gesprächsrunde im Folgenden herausheben und erläutern:
Förderung digitaler Kompetenzen, einer Kultur der Digitalität
Das Bildungssystem bedarf einer Reform. Wo setzen wir bei der Bildungsreform an? Es reicht nicht aus einfach nur das Analoge ins Digitale zu übertragen, viel Geld in Digitalisierung und Technologien zu investieren, das ändert das System und die Art und Weise, wie unterrichtet und ausgebildet wird, nicht. Das wird einer Kultur der Digitalität überhaupt nicht gerecht. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Thema. Es muss u.a. in der Ausbildung angesetzt werden.
OER (Open Educational Resources, kurz: OER) ist keine Entlastung, auch nicht für das Bildungssystem. Es ist eine Veränderung. Anders ist erstmal anders, weder besser noch schlechter. Gut, da innovativ: In den OER-Strategie Prozess wurde die Community eingebunden. Öffentlicher Begutachtungsprozess wird es bei der Förderrichtlinie. Eine neue Möglichkeit, anders zusammenzuarbeiten, zu kollaborieren, zu teilen, und in eine Kultur zu kommen, die dieses fördert.
OER macht Bildung zugänglich.
OER ist eine Herausforderung, weil ich Dinge in Frage stelle. Wenn ich Dinge offen mache, dann löst es Grenzen auf. Offenheit schafft Transparenz und damit die Möglichkeit grenzübergreifend weiterzuentwickeln bzw. Fortschritt zu generieren.
Fraglich, ob es sinnvoll ist: Bei offenen, digitalen Materialien braucht es überhaupt eine Zielgruppenbeschreibung? Angst vor Freiheit vs. kreativ Neues erschaffen, woran vorher gar nicht zu denken war. Das sprengt das System und kann zu einem Paradigmenwechsel führen.
OER kann eine Mehrbelastung sein. Der Aufwand in Material einzuarbeiten, diese für sich nutzbar zu machen, ist zeitaufwendig. Unfassbar viele Zielgruppen. Werden die richtigen erreicht, auch mit dem Geld, z. B. mit der Förderrichtlinie. Sollte eher auf Geld oder Struktur geschaut werden? Wichtig ist z. B.: Lehrbefreiung an Hochschulen zu bekommen, um OER zu erstellen. Diese Zeit muss vergütet werden. Und wie bekommen wir eine Qualitätssicherung bzw. entsprechende Standards hin? Wie sind die Standards bei OER? Es gibt viele Allgemeinplätze, aber wenig Konkretes. Und die brauchen wir auch für die Anerkennung von OER.
Darüber hinaus ist es ein wichtiger Schritt, erst die Menschen zu erreichen, bevor wir anfangen, ihnen die Technologien näherzubringen.
Kompetenzaufbau im Bereich Digitalisierung muss mehr gefördert werden. Es geht primär um die Vermittlung in der Kita, Schule, Hochschule, Weiterbildung von digitalen Kompetenzen.
Es geht nicht um Wissensvermittlung. Es geht um die Befähigung, Wissen zu generieren und Kompetenzen zu entwickeln. Selbstregulierung: Zugang zu Bildung ist der erste Schritt, der Umgang, die Fähigkeit, sich selbst zu motivieren, damit auseinanderzusetzen, was Lernen für mich bedeutet und was meine Bedarfe sind, der nächste Schritt. Kurz: Habe ich Lernen gelernt?
Kollaborationen und Austausch zwischen den Bildungsbereiche fördern — und den Weg für OER ändern
“Wir” sind erfolgreicher, wenn wir transparenter, offener und zugänglicher arbeiten über räumliche Grenzen und Bildungsbereichsgrenzen hinweg.
Wir könnten mit OER schon viel weiter sein, wenn wir mehr Verzahnung in den Bildungsbereichen und einer gezielten, langfristigen Förderung von Bildung hätten. Der Bereich der informellen Bildung müsste viel stärker mitgedacht werden. Niemand fühlt sich so richtig zuständig dafür, weder non-formale Bildungsinstitutionen als auch vereinzelte Akteur*innen. Dadurch, dass wir uns so stark abgrenzen, in vier Bildungsbereiche und den Rest der Welt wird es schwierig, eine Verbindung herzustellen (z. B.: Kooperationen eingehen, gemeinsame Projekte um Portfolio, Kompetenzen zu erweitern). Die OER-Strategie weist in Grundzügen darauf hin.
Projekte sollten nicht nur an Lehrende gerichtet werden, da nicht sehr erfolgreich: OER werden zuhauf erstellt, aber die Nutzung unter den Lehrenden bleibt hinterher bzw. findet praktisch nicht statt. Vielleicht müssten wir den Weg ändern?
Daher gezielt Lernende ansprechen, diejenigen, die einen Bedarf haben, die lernen wollen. D.h., OER-Materialien für Lernende als primäre Zielgruppe erstellen. Grundsätzlich wird die Frage gar nicht gestellt, für wen machen wir das eigentlich? Nur für die Lehrenden, um die Lehre zu verbessern?
Bildung ist nicht offen und frei, auch nicht durch Digitalität. Nur weil wir mehr Digitalität ins Bildungssystem bringen, schaffen wir nicht eine bessere Durchlässigkeit; denn gerade sozial benachteiligten Familien fehlen die digitale Teilhabe bzw. Medienkompetenzen. Digitale Bildung verändert die Freiheit, den Zugang zur Bildung und erhöht gleichzeitig die Selbstverantwortung und -organisation. Die durch Digitalisierung induzierte Veränderung bringt Gewinner*innen und Verlierer*innen mit sich; die Verteilung verändert sich.
Gezielte Finanzierungsmaßnahmen entlang von Bedarfen
Der Fokus, worauf Bildungsfinanzierung oft gerichtet wird, ist nicht unbedingt das, was wir auch brauchen. Es müsste anders entschieden werden, was wann wo gefördert wird. Beispiel: Das Gießkannenprinzip des Digitalpakts, Schulen mit Technologien und Endgeräten ausstatten zu wollen, Unklarheit über das Abrufen von Geldern, nicht ausgegebene Mittel, war am Bedarf vorbei.
Zielgruppen sind vielfältig. Werden mit Förderrichtlinien, wie der OER-Förderrichtlinie zur Community-Stärkung, überhaupt die “Richtigen” erreicht?
Am Beispiel der Nationalen Bildungsplattform wird deutlich, dass versucht wird eine Abfolge hinzubekommen: Ausschreibung, Start, Entwicklung etc., die mit bürokratischen Aufwänden verbunden ist, die der Gleichzeitigkeit der Digitalität und Entwicklungsprozessen nicht gerecht werden. Es wird agiler, dynamischer und undurchsichtiger. Man kann nicht die alten Systeme, wie die für die Vergabe von Geldern, fortführen.
Spiegelt die Nationale Bildungsplattform über die entsprechende Umgebung, Voraussetzungen, wenn ich Kompetenzen erwerben möchte, in einer Kultur der Digitalität wider? Brauche ich Zertifikate von Institutionen? Welche Bildungswege wird die Nationale Bildungsplattform ermöglichen, werden diese individuell anpassbar sein? Brauchen wir noch Zertifikate, um unsere Kompetenzen nachzuweisen? Welche “neuen Wege” möchte die Bildungsplattform gehen?
Es muss Ideen der Verstetigung geben: Was passiert nach einer finanziellen Förderung? Wer ist im Nachgang verantwortlich? Mit einer Anschlussfinanzierung durch eine nächste Förderrichtlinie ist es nicht getan.
Wichtiger Appell im Bildungsbereich: Geld für Technologieentwicklung bereitstellen. Invest in people, not in projects.
Weniger Überregulation, mehr Agilität
Es braucht andere Regulationsmechanismen der Bildungsfinanzierung, keine temporären Projektfinanzierungen; wir brauchen keine Überregulation: Wie greifen geförderte Projekte in das rudimentäre Tagesgeschäft ein? Schule, Ausbildung, Hochschule und Weiterbildung greifen viel zu wenig ineinander, sodass wir da riesige Lücken haben.
Im Ländervergleich: Deutschland gibt gemessen am BIP vergleichsweise wenig für Bildung aus und am meisten was Sozialkassen und Rente anbelangt. Das bedeutet: wir fördern das Alter noch weit, bevor wir den Nachwuchs fördern. Es gerät folglich ins Ungleichgewicht. Wir können daher so viel Geld wie wir wollen in Digitalisierung stecken, das wird uns nicht weiterbringen.
Es fehlt an einer einheitlichen Strategie. Es braucht langfristige Planung im Sinne des agilen Projektmanagements. Strukturen müssen überarbeitet werden, es steht und fällt nicht nur mit dem Geld.