Im Vorfeld der Landtagswahlen 2016 in den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt hatte das Bündnis Freie Bildung (BFB) an die Parteien Wahlprüfsteine versendet und die Antworten anschließend veröffentlicht. Der Youtube Kanal #unverschuldet mit Miri und Rene hat ein Auswertung der Wahlprüfsteine vorgenommen.
Nachdem nun in allen Bundesländern die Koalitionsverhandlungen beendet und die Verträge veröffentlicht wurden, hat sich das BFB diese genau angeschaut und mit Blick auf die Antworten aus den Wahlprüfsteinen ausgewertet und kommentiert.
Insgesamt ist das Ergebnis, was die Weiterentwicklung von Open Educational Ressources (OER) in Deutschland angeht, eher ernüchternd ausgefallen. Außer Baden-Württemberg hat sich keine Regierungskoalition zu freien Bildungsmaterialien bekannt. Das ist schade, aber auch nicht verwunderlich, da bisher eher allgemein das Thema Medienbildung, bzw. das Schlagwort digitale Bildung die Debatte beherrscht. Hier ist es wünschenswert, dass diese Themen weniger generalisiert, sondern weiter ausdifferenziert und damit auch pragmatischer und praxisnäher angegangen werden. Ansatzpunkte kann hier z. B. der Praxisrahmen zu OER in Deutschland bieten.
Nichtsdestotrotz sind die Entwicklungen in Baden-Württemberg sehr zu begrüßen und es ist zu hoffen, dass die politisch Verantwortlichen diesen Kurs entschieden weiter gehen. Eine unterstützende Wirkung könnte dabei die Selbstverpflichtung der Landesbildungsserver und des Deutschen Bildungsservers zum Thema Open Educational Resources (OER) haben. Interessant wird auch die politische Entwicklung in Berlin sein, das 2015 ein ambitioniertes Projekt zum Thema OER gestartet hat.
Rheinland-Pfalz
Koalitionspartnerinnen
SPD / FDP / Bündnis 90 / Die Grünen
Koalitionsvertrag
Link zum Download: http://www.spd-rlp.de/wp-content/uploads/2016/04/20160422-Gesamtdokument_final.pdf
Zusammenfassung aus Wahlprüfsteinen
Die Grünen
- Wollen Open Access und Open Data im Wissenschaftsbereich unterstützen
(c.f Bundestagsdrucksache 17/7031). - Wollen unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht für alle wissenschaftlichen Beiträge, die aus mit öffentlichen Mitteln finanzierten Lehr- und Forschungstätigkeiten entstanden sind.
- „Grüner Weg“ des Open Access: Werke sollen formatgleich nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten bei Periodika und zwölf Monaten bei Sammelbänden seit der Erstveröffentlichung frei zugänglich gemacht werden dürfen.
FDP
- Verpflichtung zu einer Veröffentlichung unter einer Freien Lizenz kann zum Gegenstand eines Arbeitsvertrages gemacht werden.
- Will klare Regelungen für die Honorierung entsprechender Leistungen.
SPD
- OER sind der Weg, die Angebote der Bildungsverlage zu ergänzen.
- OER können aus pädagogischer Sicht bei der Aneignung von Wissen einen Mehrwert darstellen und bei der Ausbildung von Kompetenz hilfreich sein.
- Medienportal OMEGA weiter ausbauen: Es stellt 550 geprüfte kostenfreie Lehr- und Lernmaterialien zur unterrichtlichen Nutzung allen Lehrkräften und Schüler*innen zur Verfügung
- Ein Teil der Materialien sind mit CC-Lizenzen versehen.
Zusammenfassung Koalitionsvertrag
- Kein einziges Mal werden Open Educational Ressources (OER) oder freie Bildungsmaterialien direkt erwähnt.
- Es wird die Bedeutsamkeit digitaler Bildung und Medienkompetenz hervorgehoben.
- Im Bereich Wissenschaft wird Open Access nicht erwähnt.
Fazit
Alle drei Parteien, die an der neuen Landesregierung beteiligt sind, haben sich im Vorfeld der Wahl an den Wahlprüfsteinen des Bündnisses Freie Bildung beteiligt. Die SPD erkennt den Mehrwert von OER, die Grünen möchten einen weiteren Ausbau von Open Access und die FDP kann sich vorstellen, Arbeitsverträge von Lehrkräften mit einer Verpflichtung für die Bereitsstellung von OER zu versehen.
Im Koalitionsvertrag findet sich davon aber nichts wieder: Die Begriffe OER und Open Access werden an keiner Stelle verwendet und auch ähnliche Begriffe, wie freie Bildungsmaterialien oder offene Lernmaterialien finden sich in dem Dokument nicht wieder. Es wird die Bedeutsamkeit von digitaler Bildung hervorgehoben, jedoch verbirgt sich dahinter eher der Ausbau von Medienkompetenz. Ein Bekenntnis zum Openness-Gedanken, wie er in den Antworten der Wahlprüfsteine formuliert wurde, fehlt gänzlich im Koalitionsvertrag. Das ist sehr schade, denn auf Grund der vorab gelieferten Antworten auf die Wahlprüfsteine, wäre davon auszugehen gewesen, dass sich das auch in den Plänen der neuen Regierung widerspiegelt.
Baden-Württemberg
Koalitionspartnerinnen
Bündnis 90/Die Grünen und CDU
Koalitionsvertrag
Zusammenfassung aus Wahlprüfsteinen
Die Grünen
- Wollen ganz oder weitgehend öffentlich finanzierte Bildungsmaterialien der Allgemeinheit frei zugänglich machen.
- Wollen Einsatz freier Lern- und Lehrmaterialien an den Schulen stärken
- konkrete Maßnahmen in nächster Regierungsperiode:
- Weiterentwicklung der Angebote und Infrastrukturen des Landesmedienzentrums
- OER Informationskampagnen an Schulen, in Lehrerfortbildungen und im Rahmen der Lehrerbildung an Hochschulen/ Seminaren
- Einsatz für bundesweit einheitliche Standards im Rahmen der Kultusministerkonferenz
- Gespräche mit kommerziellen Anbietern von Bildungsmaterialien (Bsp. Schulbuchverlage) über Weiterentwicklung ihrer Geschäftsmodelle
CDU
keine Antwort auf die Wahlprüfsteine
Zusammenfassung Koalitionsvertrag
- Die Integration der Open-Data-Portale von Land und Kommunen in die Bundesplattform govdata.de wird angestrebt.
- Datenbestände wie die Geodaten der Landesbehörden oder Echtzeit-Verkehrsdaten sollen unter freien Lizenzen auf diesem Open-Data-Portal veröffentlicht werden.
- Die Bereitstellung freier Software und offener Bildungsressourcen (OER) durch das Landesmedienzentrum wird begrüßt und unterstützt.
- Es gibt zwar einen Absatz zu digitalem Aus- und Weiterbilden, in dem digitale Lerninhalte explizit erwähnt werden, allerdings ohne einen Querverweis auf die bereits erwähnten OER.
Fazit
Im Vorfeld hatten von den beiden Regierungspartein nur die Grünen die Wahlprüfsteine beantwortet. Baden-Württemberg hat im letzten Jahr viele Aktivitäten zu OER durchgeführt und sich im Bundesländerranking zu OER an erster Stelle positioniert (vergl. Dobusch „Open Educational Resources in Deutschland: Entwicklungsstand und Perspektiven“ 2015). Erwartungsgemäß finden sich weitere Aktivitäten, die die Erstellung und Veröffentlichung von freien Bildungsmaterialien fördern können, im Kooalitionsvertrag. So sollen Datenbestände wie Geodaten aus den Landesbehörden unter freier Lizenz veröffentlicht werden, die nur dann als OER bezeichnet werden können, wenn die genutzte Lizenz mit der Open Definition vereinbar sind, was bei der Datenlizenz Deutschland Version 2.0 der Fall ist. Die Bereitsstellung von Open Source Software und OER wird “begrüßt”, aber es bleibt abzuwarten, was genau die neue Landesregierung darunter versteht.
Im Koalitionsvertrag wird explizit die digitale Aus- und Weiterbildung erwähnt, leider ohne einen Bezug zu den Möglichkeiten zu nehmen, die freie Bildungsmaterialien hier bieten können.
Sachsen-Anhalt
Koalitionspartnerinnen
CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen
Koalitionsvertrag
Zusammenfassung aus Wahlprüfsteinen
Die Grünen
keine Antwort auf die Wahlprüfsteine
SPD
- „MappingOER” soll Antworten zur Rechtssicherheit geben, danach wird die SPD Sachsen-Anhalt sich dazu positionieren.
- Die Auswertung der Machbarkeitsstudie zum Aufbau und Betrieb von OER-Infrastrukturen in der Bildung mit einbeziehen.
- Will stärkere strukturelle Verankerung der digitalen Bildung.
- Verfügbarkeit von offenen Lehr- und Lernmaterialien
- emuTUBE ist zu einem Mitmachportal weiter zu entwickeln.
- Lehrer sollen eigene Unterrichtsmaterialien für andere Fachkollegen zur Nutzung anbieten.
CDU
keine Antwort zu den Wahlprüfsteinen
Zusammenfassung Koalitionsvertrag
- Keine Erwähnung von Open Educational Ressources (OER) oder freien Bildungsmaterialien.
- Medienbildung von Schüler*innen soll in den Lehrplänen verankert werden.
- Medienbildung von Lehrer*innen bleibt ein Schwerpunkt in der Aus- und Weiterbildung.
- Starker Fokus auf Ausbau der technischen Infrastruktur an der Schule.
- Keine Medienbildung in der beruflichen Bildung und in der Weiterbildung explizit vorgesehen.
- Im Bereich Wissenschaft wird Open Access nicht erwähnt.
Fazit
Von den drei Regierungsparteien hatte nur die SPD auf die Wahlprüfsteine reagiert. Hier wurde u.a. Bezug genommen auf die vom BMBF geförderten Projekte Mapping OER – Bildungsmaterialien gemeinsam gestalten und die Machbarkeitsstudie zum Aufbau und Betrieb von OER Infrastrukturen. Deren Ergebnisse, die im März 2016 vorlagen, wollten die Sozialdemokraten in ihre zukünftige Arbeit einfließen lassen. Digitale Bildung und ein grundsätzliches Bekenntnis zu freien Lernmaterialien flossen auch in die Antworten der SPD mit ein.
Im Koalitionsvertrag findet sich leider wenig von dem oben Genannten. Im Bereich der schulischen Bildung wird Medienbildung für Lernende, aber auch für Lehrende erwähnt und auch der Ausbau der technischen Infrastrukturen (Internet, Endgeräte) hervorgehoben. Freie Bildungsmaterialien werden aber an keiner Stelle erwähnt und auch die Förderung des gemeinschaftlichen Zusammenarbeitens von Lehrer*innen findet sich nicht wieder. In der beruflichen Bildung und in der Weiterbildung von Erwachsenen werden weder die Medienbildung noch freie Bildungsmaterialien aufgeführt. Gleiches gilt für den Bereich der Hochschulen, wo auch keine Open Access Strategie Erwähnung findet.
Insgesamt legt der Koalitionsvertrag einen Schwerpunkt auf infrastrukturellen Ausbau und weniger auf methodische und didaktische Schwerpunkte.