Bereits die Auswertung unserer Wahlprüfsteine zur Landtagswahl in NRW hat deutlich gemacht, dass weder die CDU noch die FDP die Weiterverbreitung von OER und Open Software im Bildungsbereich als besonders wichtiges Thema ansehen. Auch wenn die Antworten der CDU in NRW verhältnismäßig kurz ausgefallen sind, bleibt festzuhalten, dass sich beide Parteien zwar in einem gewissen Maß mit der Einführung freier Bildungsmaterialien beschäftigen. Die “grundlegende Befürwortung” freier Bildungsmaterialien beider Parteien ist aber wenig stichhaltig unterfüttert. Konkrete Maßnahmen, wie Lehrende bei der Erstellung und Verbreitung von OER unterstützt werden können, fehlen. Um OER und damit Freies Wissen jedoch praktisch in der Bildung zu verankern, bedarf es ressourcenunterlegter Projekte und eines konkreten Auftrags an Verwaltung und landeseigene Bildungsinstitutionen.
Es überrascht wenig, dass die Themen OER, Open Software und Open Science in dem bildungspolitischen Konzept der Landesregierung kaum eine Rolle spielen, wie es in dem am 13.06.17 vorgestellten Koalitionsvertrag für NRW nachzulesen ist. In einem Blogbeitrag hat auch netzpolitik.org ausführlich die Punkte mit Digitalbezug herausgearbeitet und stellt fest, dass Digitalpolitik vor allem als Wirtschaftspolitik verstanden wird. Für die Bildung kommt eine sehr starke Fokussierung auf technische Infrastruktur hinzu.
Die Modernisierung von (Hoch-)Schulen und Weiterbildungszentren wird als vorrangig angesehen und soll hauptsächlich im technischen Bereich stattfinden. Ein Verweis auf den vermehrten Einsatz von Freier und Open Software ist hierbei nicht zu finden. Es sollen digitale Endgeräte im Unterricht genutzt und das Programmieren sowie die Fähigkeit zur souveränen Nutzung digitaler Medien als eine elementaren Kompetenz anerkannt werden. Ohne Zweifel sind eine gute technische Infrastruktur und Medienkompetenz nicht zu unterschätzen, aber dazu bedarf es auch entsprechender medienpädagogischer Weiterbildungen der Lehrenden und vor allem Materialien, die sich nachnutzen und verändern lassen.
Die eingangs beschriebene Offenheit für freie Bildungsressourcen spiegelt sich allein in der Planung eines Schulfreiheitsgesetzes wieder, welches Lehrenden einen größeren Spielraum in organisatorischen und pädagogischen Fragen geben soll. Das ist grundsätzlich zu begrüßen, aber ohne konkrete Anreize wie z. B. Freistunden für die Erstellung von OER, ist es unwahrscheinlich und naiv anzunehmen, dass die bereits stark ausgelasteten Lehrkräfte des Landes aus eigener Motivation heraus freie Bildungsmaterialien schaffen und weiterentwickeln.
Der Koalitionsvertrag beinhaltet ebenfalls die Planung eines digitalen Kunstregisters, welches die Verfügbarkeit von Kulturgütern erhöhen könnte. Kulturelle Einrichtungen wie Museen, Bibliotheken und Archive können mit ihren Inhalten viele sinnvolle Möglichkeiten für die Erstellung von OER bieten – aber nur, wenn die Inhalte nachnutzbar und veränderbar sind. Der Koalitionsvertrag lässt allerdings offen, ob und gegebenenfalls in welchem Maße die digitalen Bilder von Museums-Exponaten, Büchern und Archivbeständen wirklich frei zugänglich gemacht werden sollen, also unter einer freien Lizenz im Sinne der Open Definition stehen. Nur frei lizenzierte Inhalte können als Grundlage für freie Lehr- und Lernmaterialien dienen. Partnerschaftsmodelle zwischen privaten und öffentlichen Trägern werden stark in den Fokus gerückt, was die Befürchtung zulässt, dass die Offenheit kultureller Angebote unter Beteiligung profitorientierter privater Träger weniger wahrscheinlich wird.
CDU und FDP begrüßten beide in ihren Antworten auf die Wahlprüfsteine OER und Open Source, aber der Koalitionsvertrag macht deutlich, dass das alleine nicht reicht. Es fehlt ein ernsthaftes Bekenntnis, das mit finanziellen Ressourcen unterfüttert ist. Es braucht Anreize für Lehrende wie Stundenkontigente oder Freistellungen für die Arbeit mit freien Inhalten und OER. Dies ist mit diesem Koalitionsvertrag nicht abzusehen.
Lizenzhinweis
„Koalitionsvertrag Nordrhein-Westfalen: Schulfreiheitsgesetz geplant – freie Bildung und Open Source ausgespart“ von Nils Wach, Lilli Iliev und Valentin Münscher (Wikimedia Deutschland) steht unter der CC-BY-4.0-Lizenz. Für die Nachnutzung reicht als Namensnennung „Bündnis Freie Bildung“. Sofern die Nutzung offline erfolgt, ist an den Hinweis die URL der Lizenz anzufügen: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.
Ist da nicht ein gewisser Widerspruch, wenn einerseits die Autoren sagen, es sei „grundsätzlich zu begrüßen“, dass über das „Schulfreiheitsgesetz“ mehr Verantwortung für organisatorische und pädagogische Fragen an die Schulen verlagert wird, aber andererseits zentrale Maßnahmen wie „Anreize für Lehrende wie Stundenkontigente oder Freistellungen“ gefordert werden?
Nein, beides kann sich bedingen. Eine Landesregierung kann Anreize schaffen, aber in der Umsetzung den Schulen mehr Freiheit ermöglichen. Wichtig bei beidem ist, dass die Bedürfnisse der Lehrenden und Lernenden im Fokus stehen.
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