Anlässlich der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen versendeten wir Wahlprüfsteine an die im Landtag vertretenen Parteien (SPD, CDU, Bündnis 90/DIE GRÜNEN, FDP, DIE LINKE & Piraten) sowie an die AfD, da sie gute Chancen hat einzuziehen. Alle Parteien beantworteten die Wahlprüfsteine, nur die AfD teilte uns verspätet mit, dass sie aufgrund fehlender struktureller Kapazitäten unsere Wahlprüfsteine nicht beantworten könne.
Zusammenfassung:
Insgesamt haben alle Parteien ausführlich und sorgfältig auf unsere acht Fragen geantwortet. Die Stellungnahmen der CDU sind teilweise recht kurz ausgefallen. Die Grünen haben alle Fragen mit einer Antwort beantwortet und dabei einige Aspekte ausgelassen. Auffallend ist, dass alle Parteien sich zwar grundsätzlich für freie Bildungsmaterialien interessieren und positiv bewerten, der Fokus aber auf Schule und Hochschule gelegt wird. Unsere Frage nach beruflicher Bildung und Weiterbildung wurde zwar beantwortet, aber kaum eine Partei ging auf die strukturellen Eigenschaften dieser Bildungsbereiche ein (viel Freiberufler*innen, weniger öffentliche Finanzierung, Weiterbildungsunternehmen, nebenberufliche Weiterbildung, etc.). Das ist problematisch, da es anderer Ansätze der Förderung von digitalen Medien und freien Bildungsmaterialien in diesen Bildungsbereichen bedarf.
Wenngleich alle Parteien die freie Zugänglichkeit von öffentlich (ko-)finanzierten Bildungsmaterialien begrüßen, möchte keine dazu gesetzliche Regeln erlassen. Die Piraten gehen diesbezüglich weiter und schlagen eine von der Bundespartei eingebrachte Verpflichtung in den Arbeitsverträgen von Lehrenden vor, die eine Übertragung der Nutzungslizenzen an den Staat vorsieht. Alle anderen Parteien wollen rechtliche und technische Strukturen schaffen und dann die Entscheidung den Bildungsinstitutionen und Einzelpersonen überlassen. Besonders CDU und FDP betonen die Autonomie und die Freiheit der Lehre. Angesichts fehlender Anreizsysteme ist es jedoch fraglich, ob diese Maßnahmen Erfolg haben werden.
Darüber, dass der Bildungsbereich eine bessere finanzielle Ausstattung benötigt, sind sich die Parteien ebenfalls einig – besonders die FDP betont dies mit ihrem “digitalen Kraftakt”. Natürlich sind Geld für technische Infrastruktur (Breitbandinternet, Endgeräte) oder eine kollaborative Lernplattform, wie LOGINEO NRW, die von der aktuellen NRW-Landesregierung zum kommenden Schuljahr eingeführt werden soll, wichtig und sinnvoll. Aber es bedarf einer grundsätzlichen Haltungsänderung, die richtigerweise nicht zu erzwingen ist. Maßnahmen jedoch nur auf rechtliche und technische Rahmenbedingungen sowie ein wenig Qualifikation zu reduzieren, greift zu kurz – die Politik muss klare Anforderungen gesetzlich formulieren, die mit entsprechenden Ressourcen unterfüttert werden. Das bezieht auch die Nutzung und Weiterentwicklung von Freier und Open Source-Software mit ein, die zwar grundsätzlich als positiv bewertet wird, aber mit der sich nur DIE LINKE und Piraten intensiv auseinandersetzen und dafür Förderung verlangen.
Auch mit dem Thema Open Access beschäftigen sich diese beiden Parteien am intensivsten – neben der allgemeinen Forderung, dass öffentlich finanzierte Forschung als Open Access veröffentlicht werden soll, der sich alle Parteien außer der CDU anschließen, fordern DIE LINKE und die Piraten auch den Einbezug der Bibliotheken und die Verbesserung deren technischer Infrastruktur und Qualifizierung der Mitarbeitenden.
Das Bündnis Freie Bildung wird kontinuierlich beobachten, welche konkreten Schritte die Parteien in der nächsten Legislaturperiode in Koalitionsvereinbarungen, Gesetzgebungsvorhaben und der Exekutive umsetzen.
Die Antworten in der Übersicht:
Die Originalantworten der Parteien sind hier nachzulesen.
1. Befürworten Sie eine generelle Regelung, nach der Bildungsmaterialien, deren Erstellung aus öffentlichen Mitteln (ko-)finanziert wurden, nach den Grundsätzen der Open Definition der Allgemeinheit frei zugänglich gemacht werden sollen? Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen planen Sie dafür?
Alle Parteien begrüßen eine allgemeine Zugänglichkeit von Bildungsmaterialien, deren Erstellung mit öffentlichen Mitteln finanziert wurde. Die SPD betont die Freiheit der Lehre als Voraussetzung, plant aber, Lehrkräfte über die Plattform Logineo NRW zum kollaborativen Arbeiten anzuregen. Es wird jedoch nicht erläutert, ob diese Materialien unter freien Lizenzen zur Verfügung stehen. Die CDU betont die Freiheit des Autors über die Lizenzierung, gibt aber wie die Grünen an, Unterstützung bei freier Veröffentlichung zu leisten. Konkrete Maßnahmen werden von den Parteien nicht genannt. Während die FDP eine gesetzliche Regelung aufgrund des Urheberrechts insgesamt als ungeeignet einstuft und sonst keine Maßnahmen diskutiert, setzt sich DIE LINKE für eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht ein. Die Piraten weiten die Forderung von freiem Zugang auch auf Forschungsergebnisse, Kulturgüter und andere Produkte bzw. Inhalte aus. Als Maßnahmen werden Anreizsysteme, wie Wettbewerbe mit Preisgeldern, Informationskampagnen und die Idee, auf Bundesebene Nutzungslizenzen in öffentlichen Dienstverträgen auf den Staat zu übertragen, genannt.
2. Inwieweit wollen Sie öffentlich finanzierte Angestellte im Bildungswesen und Hochschulwesen dazu anhalten und gezielt unterstützen, die von Ihnen im Rahmen Ihrer beruflichen Tätigkeit erstellten Inhalte unter einer freien Lizenz (z.B. Creative Commons Lizenzen CC0, CC-BY, CC-BY-SA) zu veröffentlichen? Inwiefern können Sie sich vorstellen, Lehrerinnen und Lehrer an Schulen und Hochschulen für die Erstellung von freien Bildungsmaterialien (engl. Open Educational Resources, kurz OER) teilweise vom Unterricht freizustellen bzw. den Schulen zu ermöglichen, Lehrende im eigenen Ermessen vom Unterricht dafür freizustellen? Welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt werden und wie können diese geschaffen werden?
Alle Parteien lehnen eine generelle Verpflichtung, Materialien frei zu lizenzieren ab, wollen jedoch Unterstützung bei der Veröffentlichung unter freien Lizenzen bieten. Die SPD weist darauf hin, dass es im Hochschulbereich für Publikationen bereits Entlastungsmöglichkeiten gibt, dies soll ebenso wie das Publizieren unter freier Lizenz weiter gefördert werden. Lehrern sollen dazu auch die entsprechenden Kompetenzen vermittelt werden. Freistellungen an Schulen könne es jedoch nur im Rahmen des geltenden Beamten- und Tarifrechts geben. Die Piraten halten eine Entlastung von Lehrer zur Erstellung von OER-Materialien für denkbar, sehen jedoch die Entscheidung bei den Schulen, sofern zusätzliche Lehrerstellen geschaffen werden. DIE LINKE befürwortet eine Freistellung, die anderen Parteien äußern sich zu der Frage nicht.
Die Grünen unterstützen Open Access und Open Data im Wissenschaftsbereich, außerdem sollen Alternativen zur Veröffentlichung wissenschaftlicher Ergebnisse in Privatzeitschriften aufgebaut werden. An Schulen sollen Lehrer für den Bereich OER sensibilisiert werden und Fortbildungen erhalten. Mit dem Programm “Gute Schule 2020” sollen Schulträger dabei unterstützt werden, Infrastruktur aufzubauen. Die CDU weist erneut auf die freie Entscheidung des Autors, aber auf ihre gleichzeitige Unterstützung freier Publikationen hin. Die FDP fordert eine Schaffung von Rahmenbedingungen, die Hochschulen und Bildungsinstitutionen eine freie Lizenzierung ermöglichen, und ist zuversichtlich, dass dies aus intrinsischer Motivation heraus auch zu gegebener Zeit geschehen wird.
Die Piraten und DIE LINKE befürworten eine allgemeine Urheberrechtsschranke im Bildungsbereich sowie mehr Rechtssicherheit und Klarheit des Urheberrechts bei der Veröffentlichung von Seminar- und Vorlesungsmaterialien. DIE LINKE setzt sich außerdem dafür ein, das Zweitveröffentlichungsrecht zu überarbeiten und Repositorien zu fördern.
3. Welche Maßnahmen halten Sie für geeignet, um Lehrkräfte in den Bildungsbereichen Schule und Hochschule für die Arbeit mit digitalen Medien und freien Bildungsmaterialien (OER) zu qualifizieren? Welche Maßnahmen wollen Sie dazu konkret umsetzen?
Die SPD fordert mithilfe einer Vielzahl an Maßnahmen und im Sinne des Leitbilds “Lernen im Digitalen Wandel”, digitale Medien umfassend in die Lehre zu integrieren. Freie Bildungsmaterialien werden als “vielversprechendes Konzept” angesehen, für die konkrete Einbindung soll aber zunächst eine OER-Strategie entwickelt werden.
Die Grünen, die CDU, DIE LINKE und die Piraten möchten die Lehreraus- und Fortbildung im Bereich OER fördern. DIE LINKE fordert außerdem eine explizite Schulung in Urheberrechtsfragen. Die FDP sieht freie Bildungsmaterialien werden als Teil eines “digitalen Kraftaktes” an, der wesentlich umfassender sein soll als die bestehende KMK-Strategie “Bildung in der digitalen Welt”. Die Frage, ob durch den Einsatz erheblicher Ressourcen und insbesondere die Übertragung der Verantwortung auf die Schulen, die nach dem Entwurf selbst Medienkonzepte entwickeln müssen, wirklich nachhaltige Lösungen auch für OER geschaffen würden, bleibt jedoch zweifelhaft.
4. Was möchten Sie konkret in der kommenden Legislaturperiode zur Verbesserung des freien Zugangs zu Bildungsmaterialien unternehmen?
Die SPD verweist erneut auf die Plattform LOGINEO NRW, die bessere Bedingungen für den Austausch von digitalen Bildungsmaterialien ermöglichen und bis 2021/22 alle Lehrkräfte und SchülerInnen einbinden soll. Den (Hoch)Schulbibliotheken wird eine besondere Rolle bei der Verbesserung des Zugangs zu Bildungsmaterialien zugewiesen – dafür soll die IT-Infrastruktur verbessert werden. Die Grünen dagegen stellen ein Entgegenwirken der digitalen Spaltung und damit die Berücksichtigung der individuellen Ausstattung von SchülerInnen in den Vordergrund, bestehende Angebote und medienpädagogische Fortbildungen sollen fortgeführt und um ähnliche Maßnahmen ergänzt werden. Die CDU gibt an, den freien Zugang zu Bildungsmedien durch einen Einsatz auf Bundesebene für Anpassungen im Urheberrecht zu unterstützen. Die FDP geht davon aus, dass Infrastruktur und eine Qualifizierung von Lehrkräften den Zugang erleichtern werden. Als Maßnahmen werden die Qualitätssicherung durch geprüfte Materialien auf Landesbildungsservern, auch OER, und eine Sensibilisierung von Lehrkräften genannt. Die Piraten fordern eine Anpassung der Arbeitsverträge für neu angestellte MitarbeiterInnen in Bildungsträgern zur Übertragung von Nutzungslizenzen sowie die Erweiterung von Infrastruktur und Repositorien über Drittmittelprojekte oder Landesbildungsserver. DIE LINKE will die Abhängigkeit von Schulbuchverlagen mithilfe von OER überwinden und setzt sich für vernetzte Projekte mit dem Kultusministerium ein.
5. Befürworten Sie den Einsatz von freier und Open Source Software im Bildungsbereich und ist Ihre Partei bereit, in deren (Weiter-)Entwicklung zu investieren?
Die SPD steht dem Einsatz von Open Source Software in der Bildung offen gegenüber und möchte durch Forschung den Einsatz fördern. Es bleibt allerdings unklar, inwieweit Forschungsvorhaben hier bei einer Verbesserung von Open Source greifen würde. Der Regierungspartner die Grünen erwähnen in ihrer Antwort Open Source gar nicht. Die CDU befürwortet “den Einsatz von Open Source Software im Bildungsbereich, wenn die Qualität gewährleistet ist”, ohne eine mögliche Förderung der Qualität oder Weiterentwicklung zu benennen. Erwartungsgemäß setzen sich Piraten und DIE LINKE sehr stark für den Einsatz von Open Source Software ein und untermauern dies mit finanzieller Förderung. Für DIE LINKE soll der Unterricht Schüler*innen Open Source Software näher bringen, eine einseitige Kooperation mit kommerziellen Softwareunternehmen wird abgelehnt. Die FDP möchte die Entscheidung, mit Open Source Software zu arbeiten, den Schulen selbst überlassen. Eine Förderung wird nicht thematisiert.
6. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie Erstellung und Verwendung von freien Bildungsmaterialien im Bereich der beruflichen Bildung und in der Weiterbildung fördern?
Alle Parteien begrüßen den Einsatz digitaler Medien und freien Bildungsmaterialien in der beruflichen Bildung und Weiterbildung. Dabei gehen sie aber weitgehend nicht auf die spezifischen Eigenarten (viele Freiberufler*innen, Volkshochschulen, Ausbildung in privaten Betrieben, etc.) der Bildungsbereiche ein, die sie von Schule und Hochschule unterscheiden. Damit greifen die vorgeschlagenen Maßnahmen in der Regel zu kurz. Die SPD bezieht in ihrer digitalen Strategie die Berufskollegs und die Überbetrieblichen Ausbildungsstätten ein und möchte die Plattform LOGINEO NRW auch für den Weiterbildungsbereich ausweiten. Die Grünen deuten an, dass sie im Bereich Weiterbildung einen Kompetenzaufbau bei der Verbraucherzentrale und den Landesmedienanstalten sehen – wie das konkret die Situation von freien Bildungsmaterialien in dem Bildungsbereich verbessert, bleibt aber unklar. CDU und FDP wollen finanziell die Bildungsbereiche besser ausstatten und sehen hier potenzial für freie Bildungsmaterialien, ohne aber konkrete Maßnahmen zu benennen und DIE LINKE möchte freie Bildungsmaterialien in der beruflichen Bildung und Weiterbildung fördern, aber lässt offen, wie eine derartige Förderung aussehen kann. Die Piraten legen die Priorität auf Schule und Hochschule. Erst wenn dort freie Bildungsmaterialien erfolgreich etabliert sind, soll die berufliche Bildung anvisiert werden.
7. Welche Anreize wollen Sie setzen, um Open Access in den Hochschulen zu befördern, etwa was die Verbindlichkeit von Open Access Publikationen bei öffentlich geförderten Projekten betrifft?
Alle Parteien stehen Open Access offen gegenüber, wobei die CDU gegen eine Verpflichtung ist. Alle anderen Parteien sind der Meinung, dass öffentlich finanzierte Forschung Open Access veröffentlicht werden sollte. DIE LINKE und die Piraten betonen zudem, dass es eine dafür eine organisatorische und technische Infrastruktur und Qualifikationsangebote an den beteiligten Hochschulinstitutionen geben muss und sehen da vor allem die Bibliotheken als zentrale Einrichtungen.
8. Welche Maßnahmen planen Sie, damit öffentlich geförderte Kultureinrichtungen sich verstärkt daran beteiligen, digitalisierte Kulturgutbestände frei lizenziert zur Verfügung zu stellen, mit denen sich Lehr- und Lernprozesse unterstützen lassen und das Spektrum verfügbarer Bildungsmedien erweitert wird?
Die Antworten hier fallen unterschiedlich lang aus – die SPD erklärt recht ausführlich, wie wichtig ihr das Thema ist und verweist auf ihre Initiative im Bundesrat vom November 2016, der den Museen die gesetzliche Möglichkeit geben soll, Inhalte frei zur Verfügung stellen zu können und sprechen in dem Zusammenhang von der “gemeinfreien Zurverfügungstellung”. DIE LINKE und die Piraten argumentieren in eine ähnliche Richtung und wollen das Urheberrecht in Richtung einer Fair-Use-Policy reformieren. Auch die CDU fordert ein praxistaugliches Urheberrecht, das die Veröffentlichung von Digitalisaten vereinfacht. Die FDP möchte zwar auch, dass die Kulturinstitutionen ihre Digitalisate öffentlich machen, macht jedoch keine Aussage darüber, unter welcher Bedingungen oder wie sie mit der Urheberrechtsproblematik umgehen will. Die Grünen äußern sich dazu nicht.
Lizenzhinweis
Die „Auswertung der Antworten auf die Wahlprüfsteine zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14.05.2017“ von „Sebastian Seitz (Technologiestiftung Berlin), Valentin Münscher, Anke Obendiek (Wikimedia Deutschland)“ steht unter einer CC BY 4.0 Lizenz. Für Zitierungen reicht als Namensnennung „Bündnis Freie Bildung“. Sofern die Nutzung offline erfolgt, ist an den Hinweis die URL der Lizenz anzufügen: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.
Pingback: Wikimedia Blog » Blog Archive » Koalitionsvertrag Nordrhein-Westfalen: Schulfreiheitsgesetz geplant – freie Bildung und Open Source ausgespart!