Am 8. Dezember 2016 veröffentlichte die Kultusministerkonferenz (KMK) ihre Strategie „Bildung in einer digitalen Welt“. Vorausgegangen war ein mehrjähriger Prozess, in dem externe Expertinnen und Experten zur Diskussion eingeladen und zur Abgabe von Stellungnahmen aufgefordert wurden. Eine Stellungnahme zum ersten öffentlichen Entwurf durch Wikimedia Deutschland vom August 2016 floss ebenso in die vorliegende Strategie ein, wie die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie zum Aufbau und Betrieb von OER-Infrastrukturen in der Bildung, die vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) durchgeführt worden war (2015). Eingegangen sind auch die Ergebnisse des Praxisrahmens für OER in Deutschland, der im Rahmen des Projekts Mapping OER – Bildungsmaterialien gemeinsam gestalten von Wikimedia Deutschland entstand (2016). Beide Publikationen wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
Die ehemalige Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Bremer Senatorin für Kinder und Bildung, Claudia Bogedan, bezeichnet die Strategie als ein „klares Handlungskonzept für die Gestaltung einer der größten gesellschaftlichen Herausforderungen“. Die Strategie benennt Handlungsfelder, in denen sich nach Meinung der Autorinnen und Autoren aufgrund digitaler Entwicklungen Chancen und Herausforderungen ergeben und es gilt, Veränderungen und Entscheidungen anzustoßen. Die Strategie geht dabei sehr detailliert vor: So werden z. B. explizit „Kompetenzen in der digitalen Welt“ [S.15 ff] formuliert. Neben pädagogischen Voraussetzungen wird auch die technische Infrastruktur öffentlicher Bildungseinrichtungen thematisiert und die Notwendigkeit des Ausbaus von Breitbandanschlüssen und WLAN benannt.
Aus Sicht all jener, die sich für offene Bildung engagieren, mag die Strategie zunächst eher enttäuschend wirken, denn nur wenige Passagen beziehen sich direkt auf Open Educational Resources (OER). Open-Source-Software oder -Hardware werden überhaupt nicht genannt.
Dennoch ist vieles des gut 50 Seiten langen Papiers positiv für die OER-Bewegung zu bewerten. So unterstreichen z. B. Aussagen, dass Lehrende in der Lage sein sollen, sowohl aus proprietären Angeboten als auch aus freien Bildungsmaterialien auszuwählen, die Anerkennung von OER. Auch das eigene Kapitel zu OER im Bereich Hochschule ist zu begrüßen, wenngleich der dort verwendete Hinweis auf „Rechtsunsicherheit“ missverständlich verwendet wird und wohl eher „Unsicherheit im Umgang mit Nutzungsrechten“ meint. Die Aussage, es gäbe (noch) keine Geschäftsmodelle, ist angesichts von Anbietern wie z. B. tutory.de, die einen Service für die Erstellung von OER-Arbeitsblättern anbieten, auch nur bedingt richtig.
Im Abschnitt zu Bildungsmedien wird das „Aufbrechen der Linearität von Produktion, Verteilung und Nutzung von Medien“ konstatiert, „so dass nun jede nutzende Person und somit auch Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte Medien selbst entwickeln und verteilen können“ [S. 30]. Hier wird auf die OER-Definition der UNESCO Bezug genommen, die insbesondere die Potenziale freier Lizenzen betont: „Durch eine solche offene Lizenz werden der freie Zugang sowie die freie Nutzung, Bearbeitung und Weiterverbreitung durch andere ohne oder mit geringfügigen Einschränkungen ermöglicht. Die Urheber bestimmen selbst, welche Nutzungsrechte sie einräumen und welche Rechte sie sich vorbehalten.“ [S. 30] Nicht ersichtlich ist, ob sich die KMK auf die aktuelle Version der UNESCO-OER-Definition bezieht, deren Beschreibung vereinfacht und konkretisiert wurde.
Aber auch da, wo der Begriff OER nicht explizit fällt, scheinen die Autorinnen und Autoren an freie Bildungsmaterialien gedacht zu haben. So wird z. B. zu den zentralen „Kompetenzen in der digitalen Welt“ die „selbstbestimmte Teilhabe an der digitalen Gesellschaft“ [S. 15] gezählt. Als wichtige Kompetenzen für individuelles und selbstgesteuertes Lernen werden benannt: „teilen“, „zusammenarbeiten“, „an der Gesellschaft aktiv teilhaben“, „entwickeln und produzieren“ (inkl. veröffentlichen und teilen) – das alles lässt sich mit OER, freien Lizenzen, offenen Daten, kollaborativen Arbeitsweisen etc. nachhaltig realisieren. Als digitale Bildungsmedien werden Medien „unterschiedlicher Herkunft“ verstanden, die das Spektrum originärer Bildungsmedien sinnvoll erweitern können. Als Beispiele dienen hier freie Mediensammlungen wie die Deutsche Digitale Bibliothek oder die Europeana.
Die Förderung einer Kultur des Teilens und der damit einhergehenden „Verbesserung der Rechtssicherheit beim Zusammenarbeiten und Teilen über Schul- und Hochschulgrenzen hinweg“, die Wikimedia Deutschland in ihrer Stellungnahme forderte, findet sich fragmentiert im KMK-Papier wieder. Der Einsatz digitaler Medien kann das Lehren und Lernen unterstützen. Auch neue Unterrichtskonzepte, wie die in der Strategie erwähnten Blended-Learning-Formate und MOOCs, spielen eine wichtige Rolle. Grundsätzlich aber bedarf es einer in der Praxis gelebten Kultur des Teilens, in der Lernende und Lehrende auf Augenhöhe zusammenarbeiten – ein gutes Beispiel dafür ist das kollaborativ entstandene Lehrbuch von L3T.
Unklar bleibt, in welchem Verhältnis das angekündigte OER-Büro zur neu installierten Informationsstelle OER, deren Trägerschaft beim DIPF liegt, stehen soll: Wollen die Länder eine eigene zentrale Anlaufstelle gründen, sollen Synergien genutzt werden oder kann die Informationsstelle die Funktionen des OER-Büros übernehmen? Die Notwendigkeit einer weiteren zentralen Instanz erscheint fraglich, zumal noch keine Evaluation der Arbeit und der damit verbundenen Wirkung durch die Informationsstelle vorliegt, deren Erkenntnisse hilfreich für ähnliche Projekte wären. Doppelstrukturen sind bei zentralen Angeboten zu vermeiden und schaden der Wirksamkeit eher als sie nutzen.
Zu bedauern ist, dass der sinnvolle Einsatz von Open-Source Software und Hardware keinen Einzug in die Strategie der KMK findet. Die derzeitige Debatte zur Digitalisierung im Bildungsbereich wird überwiegend von Lernmanagementsystemen, E-Learning-Programmen, Schul-Clouds, aber auch durch die Nutzung von Tablets und anderen internetfähigen Geräten in unterschiedlichen Lehr- und Lernszenarien dominiert. Dabei wäre es sinnvoll gewesen, die Nachteile von proprietären Systemen (Bindung an einen Anbieter, Updates, Datensicherheit, etc.) zu benennen und zumindest auf die Möglichkeiten von Open-Source Produkten hinzuweisen.
Das transparente Vorgehen der KMK und die aktive Zusammenarbeit mit den OER-Initiativen beim Verfassen der Strategie sind positiv zu bewerten und sollten als Vorbild für weitere Prozesse in der Bildungspolitik angesehen werden.
Die Strategie enthält inhaltlich gute Ansätze, um OER in Deutschland stärker in die Breite zu bringen. Abzuwarten bleibt letztlich, mit welchem Tempo und welchem Ressourceneinsatz die Strategie umgesetzt wird und wie sich dabei die Zusammenarbeit mit dem Bund gestalten wird. Es wäre fatal, wenn hier nicht die Synergien mit den vom BMBF geförderten Projekten genutzt würden – gleichermaßen sollte die Förderpolitik des BMBFs im Gegenzug auch die Kernelemente der Strategie aufgreifen.
Die „Stellungnahme zur KMK-Strategie ‚Bildung in einer digitalen Welt‘“ von „Markus Deimann, Gabriele Fahrenkrog (Jöran & Konsorten), Bernd Krämer (edu-sharing NETWORK e.V.), Mandy Schütze (ZUM-Wiki), Sebastian Seitz (Technologie Stiftung Berlin), Valentin Münscher, Christina Rupprecht, Dominik Scholl, John Weitzmann (Wikimedia Deutschland)“ steht unter einer CC BY 4.0 Lizenz. Für Zitierungen reicht als Namensnennung „Bündnis Freie Bildung“. Sofern die Nutzung offline erfolgt, ist an den Hinweis die URL der Lizenz anzufügen: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.
Pingback: Stellungnahme zur KMK-Strategie „Bildung in einer digitalen Welt“ › Bündnis Freie Bildung (BFB) – teaching knowledge and creativity
Pingback: „Bildung in einer digitalen Welt“: Lob und Tadel des Bündnis Freie Bildung an Kultusministerien-Strategie | netzpolitik.org
Pingback: Wikimedia Blog » Blog Archive » Ein Bündnis für alle Fälle!