Hardware im Bildungsbereich: Unsere Empfehlungen

CC-BY 4.0 Turing-Bus, Foto: Leonard Wolf

Die durch das Corona-Virus verursachten Auswirkungen sind ein Brandbeschleuniger, der bereits seit Jahren schwelende Zustände zuspitzt. Das gilt insbesondere für den Bildungsbereich. Den ohnehin schon unter Druck stehenden Schulen wird einiges abverlangt. Pragmatische Lösungen haben Konjunktur. Die könnten unterschiedlicher nicht sein und reichen von ausgedruckten Arbeitsblättern, die als Posteinwurf zugestellt werden, über virtuelle Klassenräume, mit täglichen Online-Gesprächen, bis zum selbstgesteuerten Online-Lernen, mit eigens produzierten Lernvideos und Linksammlungen – abhängig von den Gewohnheiten und digitalen Kompetenzen der Lehrenden.

Schulische Endgeräte: gekommen, um zu bleiben?

Ein großes Problem sind neben diesen klaffenden Qualitätsunterschieden in der Betreuung auch fehlende Geräte. Das trifft besonders die Haushalte, die es sowieso schon schwer haben. Aus diesem Grund hat die große Koalition Unterstützung angekündigt und die Bereitstellung von Geldern eingeleitet, die den Digitalpakt ergänzen und für die Anschaffung neuer Geräte verwendet werden sollen. Über ihre Träger können jetzt einige Schulen finanzielle Unterstützung für die Beschaffung von Tablets und Notebooks beantragen, die dann an Lernende verliehen werden sollen – so zum Beispiel in Niedersachsen.

Aber welche Geräte sind geeignet? Bildungskontexte, insbesondere Schulen, haben besondere Anforderungen, die nicht mit privaten oder beruflichen Kriterien vermischt werden dürfen. Kurzschlussartige Anschaffungen darf es daher nicht geben, insbesondere um Lock-In-Effekte zu vermeiden.
Deswegen haben sich das Bündnis Freie Bildung, Chaos macht Schule, edulabs und cyber4EDU zusammengetan, um gemeinsame Kriterien zu veröffentlichen, die bei der Anschaffung von nachhaltigen und pädagogisch sinnvollen Geräten helfen sollen.

Welche Hardware soll angeschafft werden?

Der Einsatz von Hardware richtet sich nach den Anwendungskontexten. Eine zeitgemäße Bildung braucht offene Lern- und Arbeitsräume. Das sind Orte des selbstorganisierten Lernens in heterogenen Lerngruppen. Hier finden Lernende Materialien, Strukturen und Freiräume in denen sie ihrem eigenen Tempo nach binnendifferenziert arbeiten dürfen. Jeder offene Lern- und Arbeitsraum ist anders strukturiert, je nach Zielgruppe, Fach, Jahrgangsstufe: vom Lernbüro Englisch für die Jahrgänge 7-9 über das Lernbüro Plus für die Lernende mit Förderstatus bis hin zu Lernateliers. Was sie jedoch eint, ist die Möglichkeit des dezentralen Arbeitens von Einzelpersonen bzw. kleinen Peer-Learning-Teams. Außerdem sind Räume mit zentralen Präsentations- und Unterrichtsflächen wichtig, um Lernwege zusammenzuführen oder Inhalte zu konsolidieren. Stilles, konzentriertes Arbeiten muss zu jeder Zeit möglich sein.

Darüber hinaus ist die formale Lehre der Herausforderung ausgesetzt, zeitgemäße Kompetenzen zu vermitteln, insbesondere auch für den digitalen Raum. Das allerdings geschieht häufig auf der Ebene einer digitalisierten Bildung, die sich auf der Substitution von Lehrmitteln beschränkt. Fähigkeiten, die über die Anwendung von Tools hinausgehen, werden weniger gefördert. Hier braucht es eine “offene Technologiebildung” – das sind Ansätze, die die technische Funktion fokussieren und einen selbstbestimmten Umgang mit Technologie fördern. Um das zu ermöglichen, braucht es Technologien, die das Öffnen und Hinterfragen erlauben. Aus diesen Rahmenbedingen ergeben sich verschiedene Anforderungen:

Unsere Kriterien

Jeder Punkt ist eine Empfehlung, bei der klar ist, dass unterschiedliche Nutzungsszenarien abhängig von der Unterrichtsform, des Fachgebietes und des Alters der Lernenden sind. Deswegen sind unterschiedliche Geräte ideal, wie die Kombination aus Notebook, mit dem leicht Medien gestaltet werden können und Einplatinencomputer, der das Nachvollziehen der technischen Funktionen und die Entwicklung eigener Anwendungen erleichtert. Tablets sollten eher vermieden werden – die Gründe ergeben sich aus den Kriterien, die im Folgenden genauer dargestellt werden. Dennoch ist es aus pädagogischer Sicht sinnvoll, mehrere Eingabemöglichkeiten zu ermöglichen – wie Tastatur, Stift und Touch-Oberfläche. Im Hinblick auf das kollaborative Arbeiten ist die Stifteingabe beispielsweise interessant, indem sie das Annotieren freier, intuitiver und zumeist effektiver gestaltet. Außerdem ist das Korrigieren von Klausuren nur mit einer Maus / Tastaturkombination nicht effektiv möglich, dafür braucht es gute Stifteingaben. Auch Kunst und Kreativität am Gerät kommen oft nicht ohne Stifteingabe aus. Zum Verfassen längerer Texte und zum Umgang mit komplexen Webplattformen sind hingegen größeres Display, Maus und Tastatur wesentlich. Verschiedene Multifunktionsgeräte ermöglichen diese binnendifferenzierte Anwendung. Bei der Anschaffung sollten folgende Punkte berücksichtigt werden:

Nachhaltigkeit: Geräte müssen solide und reparierbar konstruiert sein

Die angeschafften Endgeräte müssen langfristig einsetzbar sein. Zwar mag dies im Widerspruch zu den schnellen Lebenszyklen aktueller Computertechnik stehen, doch führt aufgrund ökologischer und ökonomischer Rahmenbedingungen kein Weg daran vorbei.

Zum einen, weil es sich bei den Geldern aus dem Digitalpakt (5 Milliarden über 5 Jahre verteilt) als auch bei der aktuellen 500 Millionen Erweiterung während der Corona-Krise fürs Home Schooling stets um einmalige oder kurzfristige Zahlungen handelt. Die Bildungspolitik hat bis heute noch keine Sicherheit für die Schulen geschaffen, wie die finanzielle Unterstützung für die Zeit danach aussieht, aufgrund umfangreicher Rettungsmaßnahmen während der Corona-Krise dürften die Kassen in den Kommunen auf absehbarte Zeit eher leer sein. Schulen fehlt daher eine langfristige Planungssicherheit für erneute Anschaffungen von Endgeräten. Außerdem ist es durch die Klimakrise, in Zeiten, in denen Tausende von jungen Menschen im Rahmen von Fridays for Future für eine nachhaltige Politik demonstrieren, nicht hinnehmbar, kurzlebige Geräte zu kaufen. Auch vor dem Hintergrund der Produktionsbedingungen, wie niedrige Löhne, Vertreibung und der Zerstörtung von Natur, sollten langlebige Geräte, die eine faire Produktion anstreben, in den Fokus genommen werden.

Aus diesem Grund muss bei der Anschaffung auf die günstige Erweiterbarkeit von Leistungskomponenten, die Reparierbarkeit und solide Gehäuse geachtet werden. Eine unvollständige Liste von Endgeräten gibt es zum Beispiel hier.

Freie Software: Geräte dürfen nicht die Nutzung von proprietärer Software erzwingen

Zahlreiche Geräte können nur mit dem vom Hersteller vorgegeben Betriebssystem verwendet werden. Liefert der Hersteller keine Updates mehr dafür, ist dringend davon abzuraten, diese Systeme noch mit einer Internetverbindung weiterzuverwenden, da bestehende Sicherheitslücken nicht mehr geschlossen werden. Im Falle von günstigen Android-Geräten ist es oft der Fall, dass diese mit einer veralteten Version des Betriebssystems ausgeliefert werden und schon kurz nach dem Kauf nicht mehr mit Updates versorgt werden.

Abhilfe schaffen Geräte, die zumindest langfristig mit freier Software betrieben werden können. Das spart auch teure Lizenzkosten. Außerdem ermöglicht Open-Source-Software die Veränderbarkeit in Bezug auf die eigenen Bedürfnisse. Unabhängig davon, ob eine Schule selbst dazu in der Lage ist, ist das ein gewichtiger Vorteil, der im Kontext einer zukünftigen Schulentwicklung bedacht werden sollte.

Transparenz: Das Öffnen von “Gehäusen” muss ein wesentlicher Teil einer zeitgemäßen Bildung sein

Tablets und Smartphones sind selten mit einfachen Mitteln zerlegbar, auch bei immer dünner und leichter werdenen Notebooks besteht das Problem. Bei der Möglichkeit, Geräte in ihre Einzelteile zerlegen zu können, geht es um viel mehr, als nur defekte Komponenten tauschen zu können.

Als Gesellschaft machen wir uns zunehmend abhängig von häufig intransparenten Computersystemen, die Einfluss auf unser Leben nehmen. Dies muss Thema in der Schulbildung sein. Deshalb muss es möglich sein, Systeme zu öffnen, sie zu untersuchen und eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie sie funktionieren. Im Sinne einer digitalen Mündigkeit können wir sie erst dann hinterfragen und umgestalten.

Neben einfach zerlegbaren Geräten, wie beispielsweise modular zusammengesetzten Smartphones oder Notebooks, die sich einfach aufschrauben lassen, sind Einplatinencomputer eine großartige Chance. Diese inzwischen sehr einfach nutzbaren Kleinstcomputer können um einen Bildschirm, Tastatur, Speicher erweitert werden. Diese Systeme, die eigentlich als Lernplattformen für Computertechnik konzipiert wurden, lassen sich gleichzeitig als vollwertige Computer einsetzen. Ein Beispiel dafür ist der Raspberry Pi, der sich in verschiedene Endgeräte umwandeln lässt, wie den Pi-Top.

Datenschutz muss gewährleistet werden

Geräte, die proprietäre Betriebssysteme voraussetzen – wie Android, Chrome OS oder Windows – sind aus datenschutztechnischer Sicht problematisch. Daher sollte darauf geachtet werden, dass alternative Betriebssysteme installiert oder bedenkliche Funktionen abgeschaltet werden können. Manche Hersteller erschweren diese Möglichkeit drastisch.
Das ist auch aus der Sicht der Bildungsgerechtigkeit wichtig, denn es wäre nicht hinnehmbar, wenn Schüler*innen aus einkommmensschwachen Haushalten im Gegensatz zu Mitschüler*innen aus wohlhabenderen Elternhäusern Abstriche beim Datenschutz machen müssten.

Fazit – Endgeräte sind nur ein Teil der Lösung

Die Bereitstellung von Geldern zur Anschaffung von Endgeräten ist ein wichtiger Schritt für eine gerechtere und offenere Bildung. Allerdings stellen auch die United Nations in ihrem Bericht “Shared Responsibility, Global Solidarity” fest, dass es sich insbesondere auch um infrastrukturelle Probleme handelt:

“Digital technologies have become a positive enabler in this crisis, facilitating business continuity and connecting people more than ever and helping them maintain good mental health. However, inequality of access to broadband connectivity and inaccessibility of ICTs hinders effective remote participation and access to remote schooling arrangements, health information and telemedicine by all. According to ITU, an estimated 3.6 billion people remain offline, with the majority of the unconnected living in the least developed countries”

Die Anschaffung von geeigneten Geräten muss also auch einhergehen mit dem Aufbau von nachhaltigen Strukturen und zeitgemäßen Konzepten, die nicht nur eine digitalisierte, effizientere Bildung als Endprodukt vorsehen, sondern das Aufbrechen von Strukturen und das Fördern von sozialer und technischer Mündigkeit im digitalen Raum.

Ein Beitrag von Benjamin Schlüter, Maximilian Voigt – in Zusammenarbeit mit Aktiven aus dem Bündnis Freie Bildung, von Chaos macht Schule und edulabs.

3 Gedanken zu „Hardware im Bildungsbereich: Unsere Empfehlungen

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  2. Norman S. Antworten

    Vielen Dank für den guten Artikel.
    Eine kleine Anmerkung dazu. Fehlt im folgenden Satz nicht Apple? “Geräte, die proprietäre Betriebssysteme voraussetzen – wie Android, Chrome OS oder Windows – sind aus datenschutztechnischer Sicht problematisch.”

  3. Maximilian Voigt Antworten

    Hey Norman, wir hatten Apple hier nicht direkt aufgeführt, weil sich der Konzern als datenschutzfreundlich hervortut und wir das Fass nicht aufmachen wollten. Aber natürlich hast du recht: Apple sollte hier auch genannt werden. Alleine deswegen, weil Mac OS ja sehr stark darauf ausgelegt, Log-In-Situationen und damit Abhängigkeiten zu schaffen.

    Liebe Grüße / Maximilian Voigt

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